Silja Mende-Kamps und Leonie Berents sehen sich als Rebolutionärinnen. Mit diesem Wortspiel aus den beiden Begriffen Rebe und Revolution beschreiben die zwei Gründerinnen die Idee und Mission ihres Start-ups mit dem Namen „Abgefüllt“.
Die Kölnerinnen verkaufen Bio-Wein in Mehrwegflaschen, genauer gesagt in Halbliter-Bierflaschen mit Kronkorken, die im Pfandautomaten im Supermarkt zurückgegeben werden können. „Bio reicht uns nicht. Der ganze Kreislauf muss regenerativ und klimapositiv umgesetzt werden“, heißt es dazu auf der Homepage des Unternehmens.
Praktisch zeitgleich reiht sich auch das Bio-Weingut Galler aus Kirchheim an der Weinstraße in das deutschlandweite Pfandsystem ein. Der Familienbetrieb füllt ab sofort eine Weißwein-Cuvée mit dem Namen 2/4 in eine 0,5-Liter-Longneck-Bierflasche mit dem üblichen Pfandwert in Höhe von acht Cent. Ein Rosé soll dann später noch folgen, ebenso ein Rotwein.
„Für uns ist die Pfandflasche viel mehr als bloß ein Symbol für umfassendes Nachhaltigkeitsdenken“, sagt Winzer Ansgar Galler. Er wolle vielmehr ein klares Signal an die Branche und an Weingenießer senden: „Wir machen Schluss mit lästigen Einwegflaschen, deren Herstellung unsere Umwelt verschmutzt.“
Durch die neue Flasche würden immerhin 80 Prozent CO₂ eingespart. „Die Flasche ist ein wesentlicher Umweltfaktor und damit eine wichtige ökologische Drehschraube der Wein-Branche.“
Als Zielgruppe für den knapp acht Euro teuren Bierflaschen-Wein nennt Galler zum einen junge Konsumenten und zum anderen Verbraucher, die offen seien für Innovationen. „Uns ist aber auch klar, dass wir damit nicht jeden begeistern können“, weiß der Winzer.
Warten auf die Fridays-for-Future-Generationen
Auch das Deutsche Weininstitut (DWI) sieht noch große Beharrungskräfte unter den Weintrinkern hierzulande. „Diese Art von Pfandflaschen kann für einzelne Weingüter funktionieren“, sagt DWI-Vertreter Ernst Büscher. In der Breite sehe er die Akzeptanz für das Thema aber noch nicht, jedenfalls nicht aktuell.
„Wenn in den kommenden Jahren die Fridays-for-Future-Generationen zu Weintrinkern werden, dann könnte sich der Druck noch mal deutlich erhöhen.“ Immerhin entfallen laut Berechnungen der Klimaschutzexpertin Helena Ponstein von der Initiative für klimaneutralen Wein fast 50 Prozent der CO₂-Emissionen eines Weines auf die Glasflasche. Büscher rät den Winzern daher schon jetzt, sich vorzubereiten und Konzepte zu erarbeiten und auszutesten.
Tatsächlich ist in der Branche mittlerweile viel in Bewegung. Die Macher der weltgrößten Fachmesse ProWein in Düsseldorf haben das Thema Verpackungen jedenfalls neben alkoholfreien Weinen als derzeit wichtigsten Trend erkannt und stellen kurz vor Messe-Beginn sogar die Frage in den Raum: „Steht die Wein-Branche am Beginn einer Verpackungsrevolution?“
Beispiele wird es jedenfalls einige geben auf der Messe. Dazu gehört der Wein in den Bier-Mehrwegflaschen, aber auch eine flache Plastikflasche aus 100 Prozent Recyclingmaterial im Paketwurfsendungsformat, die in jeden herkömmlichen Briefkasten passen soll und von der doppelt so viele in einer Standard-Weinkiste Platz finden.
Ebenso gehören dazu die „Frugal Bottle“, eine Weinflasche aus Papier mit einer lebensmittelechten Innenbeschichtung, aber auch sogenannte Bag-In-Box-Lösungen, also mit Folie ausgekleidete Kartons mit Zapfhahn in den Größenklassen drei, fünf oder zehn Liter, deren Inhalt bis zu acht Wochen haltbar bleibt.
Und dazu gehört eine 0,75-Liter-Wein-Mehrwegflasche der im Januar neu gegründeten Wein-Mehrweg eG aus Baden-Württemberg. Zwölf Mitgliedsbetriebe versammelt die Genossenschaft, sie alle möchten künftig „erhebliche Teile ihres Sortiments“ darin abfüllen.
Eine Pfandpflicht ist nicht absehbar
„Die Einführung eines geschlossenen Mehrwegsystems auch beim Wein ist überfällig“, meint Genossenschaftsvorstand Werner Bender, der zudem um weitere Mitglieder wirbt. „Wir können die Mehrwegflasche bis zu 50-mal befüllen. Das spart Ressourcen und Energie, vermeidet Abfall und die Wein-Branche wird deutlich unabhängiger.“ Erste Weine soll es im Laufe dieses Jahres geben, die Höhe des Pfandbetrages steht noch nicht fest.
Die Württemberger haben bereits Erfahrung mit einem Pfandsystem. Seit Jahrzehnten schon gibt es dort ein Mehrwegangebot mit Literflaschen. Rund 24 Millionen Flaschen werden dort jährlich durchgeschleust, jedenfalls melden die Beteiligten diese Menge an gespülten Flaschen pro Jahr. Doch wirklich viel ist das nicht. Immerhin werden laut dem Statistischen Bundesamt jedes Jahr rund 1,1 Milliarden Weinflaschen allein im Lebensmitteleinzelhandel verkauft.
Eine Pfandpflicht wie in vielen anderen Getränkebereichen ist nicht absehbar. Immerhin nimmt das erst vor zwei Jahren novellierte Verpackungsgesetz die Weinwirtschaft dezidiert aus. Begründungen gibt es laut dem Weininstitut gleich mehrere.
„Es gibt in Deutschland allein 100 verschiedene Flaschenformen, weltweit sind es sogar mindestens 400“, erklärt DWI-Vertreter Büscher. Dazu liege der Importanteil beim hierzulande verkauften Wein bei rund 56 Prozent. All das mache es schwierig, einheitliche Lösungen zu finden. „Umstellungen benötigen viel Zeit.“
Schwierig war für die Branche auch das Jahr 2022. Um stattliche zehn Prozent ist der Weinkonsum in Deutschland eingebrochen, meldet das DWI mit Verweis aus Zahlen der NielsenIQ-Weinmarktanalyse. Der Umsatz ging gleichzeitig 6,5 Prozent zurück. „Aufgrund der Kaufkraftverluste durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten haben sich die Haushaltseinkäufe stark auf die unbedingt notwendigen Produkte konzentriert“, erklärt Branchenvertreter Büscher. „Dadurch haben weniger Haushalte Wein eingekauft und dabei zudem stärker auf den Preis geachtet.“
Am besten gelaufen sind dabei noch preisgünstige Weine aus dem Ausland, deren Durchschnittspreis das DWI mit 3,64 Euro pro Liter angibt. Deutsche Ware hat im Durchschnitt 4,18 Euro pro Liter gekostet und sogar 14 Prozent an Menge verloren. Wichtigster Verkaufskanal für Wein waren erneut die Discounter mit einem Marktanteil von 37 Prozent. Weitere 27 Prozent entfallen auf Supermärkte, 22 Prozent auf den Direktvertrieb der Winzer und 13 Prozent auf den Onlinehandel.
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