Ein Streik soll Montag den kompletten Bahnverkehr und Flugverkehr lahmlegen. Auf den Straßen drohen deswegen chaotische Zustände. Stauexperte Michael Schreckenberg erklärt die Folgen für Autofahrer und, wodurch das Chaos noch verhindert werden könnte.
Michael Schreckenberg lehrt und forscht als Professor für die Physik von Transport und Verkehr an der Uni Duisburg. Er ist einer der bekanntesten Verkehrsforscher in Deutschland. Anfang der 1990er-Jahre hat er das Nagel-Schreckenberg-Modell des Autobahnverkehrs mitentwickelt, mit dem sich unter anderem die Entstehung von Staus erklären lässt.
WELT: Herr Schreckenberg, am 27. März soll ein Streik den kompletten Bahnverkehr und den Flugverkehr in Deutschland lahmlegen. Welche Folgen erwarten Sie auf den Straßen?
Michael Schreckenberg: Die erste Reaktion der Menschen wird sein, aufs Auto umzusteigen. Das ist ja die einzige Chance, sich bei so einem Streik über längere Strecken fortzubewegen. Wir kennen solche Situationen beispielsweise von überraschenden Wintereinbrüchen. Man wird in einer zweiten Reaktion aber sagen: Wenn es mit dem Auto auch schwierig wird, versucht man den Tag zu Hause zu verbringen. Durch Homeoffice und flexible Arbeitszeiten sind einige nicht mehr so stark aufs Auto angewiesen. Aber es gibt eben viele, die nicht ausweichen können. Handwerker-Fahrten zum Beispiel, der Wirtschaftsverkehr und Lkw-Transporte müssen stattfinden. Wer fahren muss, wird sich überlegen, vielleicht möglichst früh auf der Straße zu sein, bevor die anderen losfahren.
WELT: Hilft das wirklich bei einem großen Streik?
Schreckenberg: Man kann eigentlich nur dazu raten, das Auto stehenzulassen und zu versuchen, die Arbeit anders zu organisieren. Verkehre zu vermeiden, die nicht unbedingt notwendig sind, liegt in so einer Situation nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch im Interesse der anderen. Im besten Fall kann es zu einer Überreaktion kommen, wie wir sie bei der Sperrung der A40 in Essen erlebt haben: Die Autofahrer haben Fahrten vermieden, was zu weniger Verkehr geführt hat und zu weniger Stau.
WELT: Wäre das denn bei so einem Schock für das Verkehrssystem, wie er jetzt droht, auch möglich?
Schreckenberg: Bei der A40 konnten sich die Leute lange vorher auf die Sperrung einstellen. Das ist jetzt nicht möglich. Der Streik wurde am Donnerstag angekündigt, das heißt, es blieben nur zwei Arbeitstage, um den Montag zu organisieren. Viele Verkehre haben sich da vermutlich nicht mehr umplanen lassen. Das ist natürlich auch die Absicht, die Gewerkschaften wollen möglichst viel Chaos erzeugen.
WELT: Möglicherweise werden auch Tunnels wie der Elbtunnel blockiert.
Schreckenberg: Das haben wir in so einer massiven Form eigentlich noch nicht erlebt. Wenn man den Luftverkehr, die Bahn und auch die Autobahn blockiert, kann man das Verkehrssystem komplett zum Zusammenbruch bringen. Dann geht nichts mehr weiter. Ich gehe aber davon aus, dass der Güterverkehr weiter rollen wird. Die Lkw werden fahren und die Belieferungen gehen weiter. Aber sehr viele Leute werden versuchen, selbst nicht zu fahren. Es wird interessant sein zu sehen, wie groß der Effekt von Homeoffice wirklich ist.
WELT: Das Ifo-Institut schätzt, dass 56 Prozent der Deutschen zumindest teilweise im Homeoffice arbeiten könnten und 25 Prozent es tatsächlich auch tun. Wenn die alle zu Hause bleiben, würde das den Druck aus dem System nehmen?
Schreckenberg: Auf jeden Fall. Aber wenn Sie jetzt auf die Straßen sehen, dann sind die Zahlen nicht so ganz stimmig. Wir müssten bei 25 Prozent Homeoffice deutlich weniger Verkehr haben, aber das ist eben nicht der Fall. Stattdessen sind wir wieder auf dem Vor-Corona-Niveau angekommen. Ich bin ein wenig skeptisch, aber man wird es am Montag ja sehen. Die Leute sind durch die Medienberichte auch sensibilisiert für die Situation, das könnte helfen.
WELT: Würde es in einem solchen Fall auch helfen, das Sonntagsfahrverbot für Lkw aufzuheben, wie es die Logistikbranche fordert?
Schreckenberg: Das würde vielleicht etwas Druck aus dem Montagmorgen nehmen, viel bringen würde es aber nicht. Lkw sind hauptsächlich im Fernverkehr unterwegs, jedes zehnte Fahrzeug auf der Autobahn ist ein Lkw. Aber sie starten schon am Sonntagabend um 22 Uhr. Betroffen vom Streik sind vor allem die Pendler am Montagmorgen, da liegt neben dem Freitagnachmittag die zweite große Spitze im Verkehr während der Woche. Diese Spitze ist schmal, aber sehr hoch. Es gibt also in kurzer Zeit sehr viel Verkehr. Man sieht am Montagmorgen keine Freizeitfahrer, sondern hauptsächlich den Berufsverkehr. Und den wird es vor allem treffen.
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