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Scholz‘ Wachstumsversprechen: Die Entzauberung des grünen Wirtschaftswunders

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Die Worte des Bundeskanzlers hallen noch nach: Deutschland werde im Zuge der Energiewende und der grünen Transformation Wachstumsraten wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders in den 50er-Jahren erleben, sagte Olaf Scholz im März. In der Wirtschaft selbst rief der Scholz’sche Optimismus gemischte Reaktionen hervor – sie reichten von Zustimmung über Skepsis bis zu Fassungslosigkeit.

Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), sah sich jetzt sogar genötigt, einen Alarmruf abzugeben. „Es mag zu früh sein, von Deindustrialisierung zu sprechen, aber der Trend ist klar erkennbar: eine Abwanderung unserer Wirtschaft aus unserem Land heraus“, sagte er auf einer BDA-Podiumsveranstaltung in Berlin.

Dulger, der selbst einen Betrieb in Heidelberg führt, sieht das Land vor einer ganzen Reihe von Problemen, die die Wettbewerbsfähigkeit bedrohten. So sei neben der Energiekrise auch die „Bildungskrise“ ein Weckruf.

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Die Ergebnisse der jüngsten IGLU-Bildungsstudie, wonach rund ein Viertel der Grundschüler nicht mehr richtig lesen kann, seien „erschütternd“. Außerdem könne es sich das Land nicht leisten, dass jährlich knapp 50.000 junge Menschen, die Schule ohne Abschluss verlassen.

„Über viele Nebensächlichkeiten gibt es in Deutschland einen Aufschrei. Dieser Bildungsskandal aber wird hingenommen und es gibt keinen Aufschrei“, so Dulger.

Zudem warnt er: Bei der Attraktivität des Berufes zähle aus Sicht der Beschäftigten „ganz klar das Nettogehalt“. Angesichts der hohen Abgaben sei es jedoch „kein Wunder, wenn gerade junge Beschäftigte ins Ausland gehen, um dort zu arbeiten“.

Stimmung in der Wirtschaft hat deutlichen Dämpfer erhalten

Die Unsicherheiten rund um den Standort Deutschland, die den Arbeitgeberpräsidenten umtreiben, werden durch die aktuelle Empirie gedeckt. „Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat einen deutlichen Dämpfer erhalten“, schreibt ifo-Präsident Clemens Fuest.

Der aktuelle Geschäftsklimaindex des Wirtschaftsforschungsinstituts ist demnach auf 91,7 Punkte gefallen nach 93,4 Punkten im April. Das ist der erste Rückgang nach sechs Monats-Anstiegen in Folge.

Treiber der Entwicklung sind der ifo-Analyse zufolge die „deutlich pessimistischeren Erwartungen“. Merklich schlechter ist das Geschäftsklima insbesondere im verarbeitenden Gewerbe geworden. Ein stärkerer Rückgang wurde zuletzt nach Ausbruch des Ukraine-Krieges verzeichnet. „Die deutsche Wirtschaft blickt skeptisch auf den Sommer“, so das Fazit des Wirtschaftsforschungsinstituts.

Zwei Illusionen bei Entwicklung des Wirtschaftsstandorts

Stefan Kooths, Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), kann erklären, weshalb. Bei der Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland gebe es zwei Illusionen, sagte er auf der BDA-Podiumsveranstaltung: „Wir werden keinen Wachstumsschub sehen, wie ihn der Bundeskanzler angekündigt hat“, so Kooths. „Wachstumsraten wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders in den 50ern wird es nicht geben. Im Gegenteil: Die Energiewende wird das Wachstum dämpfen.“

Der Ökonom warnte zudem: „Deutschland wird immer interventionistischer mit Blick auf die Industriepolitik.“ Als Beispiel führte er den Industriestrompreis an, den Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grün) im Frühjahr 2024 einführen will. Doch bei dessen Finanzierung sei bereits jetzt klar: „Wenn man über Subventionen Unternehmen päppeln und im Land halten will, dann muss man an der Abgabenquote drehen – doch dadurch wird die Wettbewerbsfähigkeit noch weiter geschwächt.“ Kooths plädierte stattdessen für eine „enorme Steigerung der Energieeffizienz“, um den Verbrauch und damit auch die Kosten zu senken.

Die zweite „Illusion“, der Habeck unterliege, betrifft laut Kooths den Arbeitsmarkt. „Der Wirtschaftsminister möchte ja ein gigantisches Beschäftigungsprogramm zünden im Zuge der Energiewende“. Doch das könne nur einseitig funktionieren: Es würden schließlich lediglich Sektoren personell wachsen, die mit der Dekarbonisierung zu tun haben, so Kooths. „Aber die neuen Beschäftigten fehlen dann an anderen Stellen und in Zeiten des Arbeitskräftemangels schlägt sich das deutlich nieder.“

Die schwierige Ausgangslage gepaart mit der hohen Abgabenquote helfe laut Kooths auch nicht, dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland in hiesige Jobs zu bekommen. Der Arbeitskräftemangel drohe schließlich, zu einer immer größeren Konjunkturbremse zu werden. „Es ist nicht so, dass der Rest der Welt darauf wartet, nach Deutschland zu kommen, um dabei zu helfen, die Staatsfinanzen zu sanieren.“

MINT-Report als „deutliches Alarmsignal“

Im Kontrast zu den Erwartungen an ein neues Wirtschaftswunder steht auch der am 24. Mai veröffentlichte „MINT-Report“, der zweimal jährlich vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erstellt wird. Demnach fehlen dem Land allein im wichtigen Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik annähernd 310.000 Arbeitskräfte – und angesichts des demografischen Wandels ist die Tendenz sogar steigend. Die größten Engpässe bestehen in den Energie- und Elektroberufen mit 88.600, in den Berufen der Maschinen- und Fahrzeugtechnik mit 56.600 und in der IT mit 50.600.

„Die Lücke wäre heute noch dramatisch höher, wenn in den letzten zehn Jahren nicht erste Erfolge zur MINT-Fachkräftesicherung bei Frauen, Älteren und Zuwanderern erreicht worden wären“, sagt Axel Plünnecke, Migrationsforscher am IW. So hat der Frauenanteil in MINT-Berufen von 13,8 Prozent Ende 2012 auf 16,0 Prozent im September 2022 zugenommen.

Auch die Beschäftigung von über 63-Jährigen ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Plünnecke unterstreicht außerdem die Bedeutung ausländischer Arbeitskräfte in den MINT-Sektoren: „Ohne Erfolge bei der Zuwanderung würden rund 385.700 MINT-Fachkräfte zusätzlich fehlen.“

Doch um die Pläne rund um die Energiewende umzusetzen, steigt der Bedarf gerade in den Energie- und Elektroberufen, warnt Indra Hadeler, Geschäftsführerin Bildung beim Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Der Report müsse als „deutliches Alarmsignal“ verstanden werden.

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