Die deutsche Wirtschaftsleistung ist im ersten Quartal völlig überraschend um 0,3 Prozent geschrumpft, nach minus 0,5 Prozent im vierten Quartal 2022. WELT ordnet ein, wie dramatisch das ist und was dahinter steckt.
Das ging schneller als erwartet! Deutschland ist bereits im Winter in die Rezession gerutscht. Die Wirtschaftsleistung ist im ersten Quartal völlig überraschend um 0,3 Prozent geschrumpft. Das folgt auf minus 0,5 Prozent im vierten Quartal 2022. Wenn eine Ökonomie zwei Quartale in Folge ins Minus rutscht, spricht man von Rezession.
Rezessionen sind durchaus bemerkenswert. Seit der Wiedervereinigung gab es erst zehn solcher Episoden, in denen die deutsche Wirtschaft mindestens zwei Quartale in Folge geschrumpft ist.
Vor allem die Verbraucher hielten sich zurück. Der private Konsum brach um 1,2 zum Vorquartal ein. Aber auch der Staatsverbrauch sackte um 4,9 Prozent ab. Stützend wirkte noch der Bau. Die Bauinvestitionen stiegen um 3,9 Prozent.
Was bemerkenswert ist, wie stark die Statistiker mit ihren ursprünglichen Schätzungen danebenlagen. Bereits für das vierte Quartal waren sie zunächst von einer Stagnation ausgegangen. Dann wurde die Wirtschaftsleistung Scheibchen für Scheibchen auf jetzt minus 0,5 Prozent zurückgenommen.
Das gleiche Spiel zeigt sich jetzt für das erste Quartal. Auch hier stand zunächst Stagnation in der Wirtschaftsstatistik. Möglicherweise ticken die Uhren in einer Post-Corona-Ökonomie anders, sodass es für die Statistiker komplizierter ist, einzelne Komponenten zunächst zu schätzen, bevor die realen Daten gemeldet sind.
Die Winterrezession ist ein herber Rückschlag auch für die Ampel-Koalition in Berlin. Zwar konnte das Land den düstersten Wirtschaftsszenarien nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und dem russischen Gasliefer-Stopp entkommen, aber die Rezession ließ sich doch nicht vermeiden, wie Bundeskanzler Olaf Scholz noch im Januar gehofft hatte.
„Wir sind damit jetzt quasi amtlich in einer ausgeprägten Rezession. Die Frühindikatoren lassen erwarten, dass es im zweiten Quartal ähnlich schwach weitergeht“, sagt Jens-Oliver Niklasch von der LBBW. Es sei eine gute Gelegenheit für die Politik, sich fiskalisch und wachstumspolitisch ehrlich zu machen. „Man sollte jetzt in Deutschland auch wieder einmal über die mittelfristige Stärkung der Wachstumskräfte reden statt ständig über neue Belastungen für die Wirtschaft und fiskalische Wohltaten aus der Gießkanne.“
Tatsächlich sehen Beobachter die Zahlen auch als Weckruf an die Politik, den internen Streit beizulegen und ein Umfeld zu schaffen, das Vertrauen und Zuversicht bieten, damit Menschen wieder konsumieren und investieren und Deutschland nicht dauerhaft abgehängt ist.
Denn als eine der wenigen Volkswirtschaften in Europa und der Welt liegt die deutsche Wirtschaftsleistung nun deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau. Nur die spanische Volkswirtschaft liegt jetzt noch niedriger. Aber in Spanien ist die Wirtschaft im ersten Quartal um 0,5 Prozent gewachsen nach einem Plus von 0,4 Prozent im vierten Quartal 2022.
Eine schnelle und deutliche Wende zum Besseren ist aber nicht in Sicht. Zwar klingen die inflationären Belastungen langsam ab, allerdings wachsen diejenigen der restriktiven Geldpolitik. „Das Gift der Inflation wird mit dem Gegengift hoher Zinsen bekämpft“, sagt Andreas Scheuerle von der Dekabank.
Und Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, rechnet damit, dass Deutschland auch im zweiten Halbjahr nicht aus der Rezession kommt. „Leider ist eine grundlegende Besserung nicht in Sicht, weil nach dem gestrigen Rückgang des Ifo-Geschäftsklimas nun alle wichtigen Frühindikatoren im verarbeitenden Gewerbe sinken“, sagt Krämer.
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