Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) rennt auf seinem ersten „Solargipfel“ auch Türen ein, die schon offen stehen. Nach Informationen von WELT AM SONNTAG richtet jedenfalls einer der weltweit führenden Projektierer von Photovoltaikanlagen, Lightsource BP, gerade seine Deutschlandzentrale in Berlin ein.
Das Unternehmen, an dem der britische Energiemulti BP mit 50 Prozent über ein Joint Venture beteiligt ist, will bis 2030 jährlich Solarmodule mit 300 bis 400 Megawatt auf Freiflächen errichten.
Bis 2030 würde Lightsource BP damit über rund zwei Gigawatt Solarkraft in Deutschland verfügen. Ein Gigawatt entspricht ungefähr der installierten Leistung eines Atomkraftwerks. Die mit dieser Leistung erzeugte elektrische Arbeit fällt wegen der geringen Zahl an Sonnenstunden aber deutlich geringer aus als die eines konventionellen Großkraftwerks.
Auf dem Gipfelgespräch mit rund 50 Teilnehmern aus Industrie, Politik und Lobbygruppen am Freitag hatte Habeck den Entwurf einer „Photovolatik-Strategie“ vorgelegt, die helfen soll, die Nutzung von Sonnenenergie in Deutschland zu erleichtern.
Wie schon bei der Windkraft geht es vor allem um den Abbau von bürokratischen Hürden. „Jetzt beginnen die Mühen der Ebene“, sagte Habeck nach dem Gipfel: „Manchmal ist es nur eine kleine Regulierung oder Normfrage, die verhindert, dass die politischen Zielsetzungen erreicht werden.“
Das fast 40-Seiten starke Strategiepapier schlägt zahlreiche Maßnahmen vor, die den Ausbau der Solarkraft sowohl auf Hausdächern wie auf Bodenflächen rasant beschleunigen sollen. Von einer Solardach-Pflicht ist in dem Papier nicht die Rede, nur von Anreizen und Vereinfachungen.
Habeck will Mieterstrom fördern
Das Bundeswirtschaftsministerium sammelt in den kommenden zwei Wochen Stellungnahmen ein. Auf einem zweiten Solargipfel am 3. Mai soll das Strategiepapier verabschiedet und in Bundesgesetze überführt werden.
Als eine zentrale Maßnahme nannte Habeck die Erleichterung für den sogenannten Mieterstrom. Besitzer von Mehrfamilienhäusern hatten bislang wenig Anreize, die Dächer mit Solarpaneelen zu belegen, um damit die eigenen Mieter zu versorgen.
Denn nach aktuellem Stand gelten Vermieter damit praktisch als Kraftwerksbetreiber und müssen zahlreiche regulatorische Bedingungen erfüllen. Diese will die Bundesregierung abbauen. Die Versorgung der Mieter mit Strom vom eigenen Hausdach soll so einfacher möglich werden.
Beim Bau von Solaranlagen auf Freiflächen, insbesondere Agrarflächen, soll die Nutzungskonkurrenz mit der Landwirtschaft oder dem Artenschutz aufgelöst werden. Unter den Solarmodulen können Wiesen wachsen und auch etwa Schafe weiden. Das komme auch dem Artenschutz zugute, so Habeck: „Da wird nicht mehr intensiv geackert.“
Vertreter der Energiewirtschaft forderten auf dem Gipfel, für die Solarkraft großzügig Flächen auszuweisen. Nachdem bereits die Windkraftbranche zwei Prozent der Landesfläche für sich reklamiert, legte die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae, jetzt ähnliche Forderungen für Photovoltaik auf den Tisch: „Klar ist: Wir werden rund ein Prozent der Landesfläche für PV-Freiflächenanlagen brauchen.“
Newcomer Lightsource BP hatte sich von der deutschen Bürokratie schon zuvor nicht abhalten lassen, mit Deutschland die zehnte Länderpräsenz in Europa aufzubauen.
„Genehmigungsverfahren sind nach wie vor zu komplex und zu langwierig“, sagt Stephan Jeznita, Leiter der deutschen Geschäftsentwicklung von Lightsource BP. „Wir als Unternehmen können jedoch mit Komplexität umgehen, und auch komplizierte Genehmigungsverfahren schrecken uns nicht ab.“ Das Unternehmen plant, mit vier Regionalteams in Deutschland Freiflächenprojekte zu entwickeln.
Doch auch die Kraft eines Weltmarktführers reicht kaum hin, die ambitionierten Ziele der Bundesregierung im Solarbereich zu erreichen. Bis 2030 sollen Paneele mit 215 Gigawatt Leistung in Deutschland stehen – heute sind es lediglich 66,5 Gigawatt. Ab 2024 müssen also Jahr für Jahr rund 22 Gigawatt installiert werden, das ist fast dreimal mehr als im bisherigen Rekordjahr 2012.
Regierung will Agri-PV-Anlagen attraktiver machen
Geht man davon aus, dass sich der geplante jährliche Zubau je zur Hälfte auf Dächer und Bodenflächen verteilt, würden die geplanten Lightsource-BP-Projekte von 400 Megawatt pro Jahr nur etwa 3,6 Prozent des nötigen Freiflächenzubaus ausmachen. Laut Entwurf der neuen Photovoltaik-Strategie will die Bundesregierung nun auch daran gehen, „spezifische Privilegierungen“ ins Baugesetzbuch aufzunehmen und auch den Bau von Agri-PV-Anlagen attraktiver zu machen.
Bei Agri-PV handelt sich um Solarmodule, die auf hohen Ständern über landwirtschaftlicher Fläche aufgestellt werden, sodass weiter Agrarproduktion möglich ist. Der Schattenwurf der Module ist bei einzelnen Produkten eher förderlich.
Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW) zeigte sich erfreut über die Initiative der Bundesregierung. Seine Branche habe bereits 2022 einen „Solarsprint“ hingelegt und habe auch künftig sonnige Aussichten: „Vier von fünf Immobilien-Besitzern liebäugeln mit einer PV-Anlage auf dem Dach“, sagte Körnig: „Solche Werte habe ich noch nie zuvor gesehen.“ Körnig sprach von der Solarenergie als dem „Öl dieses Jahrhunderts“.
Allerdings liege auch eine gewaltige Herausforderung im Regierungsziel, den Anteil von Solarstrom an der Elektrizitätsversorgung innerhalb von zehn Jahren auf 30 Prozent zu verdreifachen. Dafür müsse sich die Förderpolitik des Staates auch „den marktüblichen Rendite-Erwartungen stellen.“
Solarstrom dürfte also für die Verbraucher teurer werden. Die Bundesnetzagentur hatte jüngst bereits die maximale EEG-Vergütung für Solarstrom um 25 Prozent angehoben.
„Alles auf Aktien“ ist der tägliche Börsen-Shot aus der WELT-Wirtschaftsredaktion. Jeden Morgen ab 5 Uhr mit den Finanzjournalisten von WELT. Für Börsen-Kenner und Einsteiger. Abonnieren Sie den Podcast bei Spotify, Apple Podcast, Amazon Music und Deezer. Oder direkt per RSS-Feed.