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Mode: Fast Fashion als Klimakiller – Jetzt hilft nur noch die Regulierung aus Brüssel

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Die Ursprünge ihres Geschäftsmodells verortet Hasna Kourda im Haus ihrer Ahnen. „Meine Großmutter hat aus alten, ausgemusterten Kleidungsstücken kunstvolle Teppiche genäht, Kilim nennen wir sie in Tunesien. Die haben wir genutzt, um die Böden kühl zu halten, wenn es heiß wurde in den Sommermonaten.“ Schon als Kind habe es sie beeindruckt, dass aus Dingen, die ausgedient haben, etwas Neues entstehen kann.

Einen völlig anderen Umgang mit Textilien und Mode lernte die Tunesierin kennen, als sie nach London kam: Eine Wegwerfkultur mit wenig Verständnis dafür, wie Textilien und Mode produziert werden, beschreibt sie. „So entstand die Idee für ,Save your Wardrobe’ – Verbrauchern helfen, das Passende zu kaufen und dabei die Umwelt im Kopf zu behalten.“

Zwei unterschiedliche Aspekte machen das Angebot von „Save your Wardrobe“ aus. Mithilfe der App lässt sich der eigene Kleiderschrank katalogisieren. Das kann im Laden helfen, ob ein Stück eine passende Ergänzung zum vorhandenen Sortiment ist – oder womöglich ganz ähnlich schon vorhanden.

Außerdem unterstützt das Programm bei der Pflege der Bekleidung, mit Tipps für Reinigung, einfache Reparaturen und Hinweisen auf Änderungsschneidereien oder Kunststopfer. „So wollen wir Menschen vom übertriebenen Konsum abhalten und das Leben von Kleidungsstücken verlängern“, beschreibt Kourda das Konzept.

Zwei deutsche Unternehmen konnte sie unter anderem als Kooperationspartner gewinnen. Der Online-Händler Zalando arbeitet mit „Save your Wardrobe“ zusammen, um Kundinnen und Kunden Reparatur- und Pflegetipps zu geben. Im Rahmen eines Pilotprojektes können auch Hugo-Boss-Kunden in Hamburg und Berlin die App nutzen.

Mit Erfolg: Die Rückmeldungen aus den Geschäften und die Reaktionen der Kundschaft seien positiv, sagt eine Boss-Sprecherin. Mit den bisherigen Buchungen für Reparaturen sei man sehr zufrieden.

Textilsektor ist der viertgrößte Klimaschädling

Die Bekleidungsbranche steht vor einem grundlegenden Wandel. Immer schneller drehende Kollektionen, möglichst schnell viel verkaufen – das Muster der vergangenen zwei Jahrzehnte gerät von mehreren Seiten unter Druck, wegen der Emissionen, dem Wasserverbrauch und der Abfallproduktion.

Verbraucher beginnen umzudenken. Vor allem rücken die Textilunternehmen aber in den Blick der Regulierung. Strengere Regeln auf EU-Ebene sollen Kleidung haltbarer machen, das Recycling vereinfachen und den Ressourcenverbrauch reduzieren.

Bei den Auswirkungen auf Umwelt und Klima liegt der Textilsektor laut Daten der Europäischen Kommission auf dem vierten Platz, hinter Nahrungsmitteln, Wohnungsbau und Mobilität. Beim Verbrauch von Frischwasser gehört Bekleidung in die Top 3. Gleichzeitig wächst die Produktion von Textilien seit Jahren rasant, zwischen 2000 und 2015 hat sie sich weltweit verdoppelt.

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In westlichen Industrieländern wird immer mehr konsumiert, jedes einzelne Stück aber oft nur wenig genutzt. Elf Kilo Bekleidung wirft ein Europäer im Schnitt jedes Jahr weg, zumal der Siegeszug von Fast-Fashion, neue Kollektionen in immer kürzerer Abfolge, oft auch an der Qualität gekratzt hat.

Anna Pownell ist überzeugt, dass es so nicht weitergehen kann. „Alles, was ich trage, ist Secondhand oder selbst gemacht“, sagt die Schülerin aus Holland Park im Westen von London, die kurz vor dem Abschluss steht. Textil-Design gehört zu ihren Schwerpunktfächern und sie hat Spaß am Experimentieren.

Mit Vorliebe stöbert sie in den vielen Läden in der Stadt, die gebrauchte Kleider für einen guten Zweck verkaufen, schneidert Stücke um. Auch aus alten Lebensmittelverpackungen hat sie sich schon einen Mantel genäht.

Vor allem junge Menschen zwischen 18 und 29 Jahren zeigen vermehrt Interesse an Secondhand-Kleidung, belegt die Marktforschung des Händlers Zalando. Der Wunsch, nachhaltiger zu konsumieren, spielt dabei eine wichtige Rolle.

In der Gesamtbevölkerung hat sich der Trend noch nicht durchgesetzt. Und die Branche selbst unternehme längst nicht genug, um die notwendige Abhilfe zu schaffen, warnt Emilien Gasc, zuständig für Klima- und Umweltfragen bei der Delegation der EU in Großbritannien. „Das klappt nur mit mehr Regulierung“, so Gascs Schlussfolgerung.

Harte Auflagen für die Hersteller

Das ist bereits in Arbeit. Im Frühjahr 2022 hat die EU-Kommission eine Strategie vorgelegt, um die Branche bis zum Ende des Jahrzehnts nachhaltiger zu machen. Dazu gehören neue Design- und Qualitätsanforderungen, um Kleidungsstücke einfacher zu reparieren und haltbarer zu machen.

Die gesonderte Sammlung von Textilmüll soll die Wiederverwendung von Fasern vereinfachen – das passiert heute nur bei einem Prozent aller Kleider – und Exporte von Altkleidern werden deutlich erschwert. Hersteller werden auch in die Pflicht genommen, um das Auswaschen von Mikroplastik aus Kunstfasern erheblich zu reduzieren.

Im Vorgriff experimentieren Modelabels seit einiger Zeit mit Alternativen zum klassischen Modell, Kleidungsstücke zu produzieren, die eine Weile getragen und irgendwann weggeworfen werden. Reparaturen und Pflege, das Modell von „Save your Wardrobe“, gelten als wichtiger Schritt, den einige Marken auch direkt anbieten.

Zara, Teil des spanischen Händlers Inditex, gehört dazu. Beschädigte Zara-Kleidung können Kunden in einigen Läden direkt reparieren lassen.

Weiterverwertung von schon genutzten Stücken des eigenen Labels ist ein anderer Weg. Hugo Boss verkauft seit September in Frankreich über den eigenen Online-Shop Produkte der Marke aus zweiter Hand. Als „preloved“ , also „schon mal geliebt“ wird Secondhand-Ware im Branchen-Sprech gerne bezeichnet.

Auch Zalando bietet die Möglichkeit an, Gebrauchtes über die eigenen Online-Shops zu erwerben und zu verkaufen. Der Händler mit Sitz in Berlin trimmt zudem die Eigenmarken auf eine einfachere Wiederverwertung. Bereits bei Design und Produktion habe man das spätere Recycling im Blick, teilt das Unternehmen mit. Das bedeutet zum Beispiel weniger Textilien aus gemischten Fasern oder den Verzicht auf Aufnäher oder Pailletten.

Kurzzeitmiete von Bekleidung ist eine weitere Option. Das funktioniert im britischen Markt zum Beispiel über spezialisierte Online-Plattformen wie Matches Fashion oder My Wardrobe HQ. Eine Reihe Marken, von H&M über Marks & Spencer bis Jigsaw, bieten den Service auch selbst an.

Herzogin Kate hat sich eine Abendrobe geliehen

Sogar das britische Königshaus ist bei dem Trend dabei: Ende vergangenen Jahres trug Kate, die Herzogin von Cambridge, zur Verleihung des Earthshot-Preises in Boston ein hellgrünes Abendkleid, das sie über die Plattform Hurr für 74 Pfund gemietet hatte.

Noch klaffen Anspruch und Wirklichkeit aber bei den meisten Verbrauchern deutlich auseinander. Deutlich wird das laut einer Untersuchung von Zalando bei Reparaturen. 58 Prozent der Befragten finden sie wichtig, um die Lebensdauer von Kleidungsstücken zu verlängern.

Aber weniger als ein Viertel greift regelmäßig zu Nadel und Faden, um ein Loch zu stopfen oder einen Knopf anzunähen. Wird das Flicken komplizierter, sind drei Viertel nicht sicher, was sie tun sollen. Obwohl 60 Prozent der Befragten betonen, dass ihnen Transparenz sehr wichtig sei, macht sich nur ein Fünftel die Mühe, vor dem Kauf aktiv mehr zu Produktion, Material und mehr eines Kleidungsstücks herauszufinden.

Mit Informationskampagnen, einem engen Austausch mit den Kunden und Kooperation wie der Reparatur-App will Zalando helfen, die Lücke zu schließen. Noch stehe man bei dem Thema aber am Anfang einer Lernphase, heißt es aus dem Konzern.

Das Modeland Frankreich ist federführend

Dass Veränderung Not tut, wird innerhalb der Branche klar gesehen. „Letztlich führt kein Weg daran vorbei, dass wir weniger Sachen und bessere Kleider herstellen müssen“, sagt Shailja Dubé vom British Council.

Für Verbraucher bedeutet das erhebliche Anpassungen. Laut einer Studie von Hot or Cool, einer Denkfabrik in Berlin, sollten die Kohlendioxidemissionen eines Einzelnen im Zusammenhang mit dem Kleiderschrank – Produktion, Nutzung und Entsorgung von Textilien – rund 128 Kilogramm im Jahr nicht übersteigen, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen.

Heute liegen die Werte bei Spitzenreitern wie Australien, Japan oder den USA deutlich über 350 Kilogramm, Deutschland kommt auf 266 Kilogramm. Im Schnitt sollte der Einzelne nicht mehr als neun Kleidungsstücke im Jahr kaufen, übersetzt Luca Coscieme, Mitautor der Studie, dieses Ziel. Zum Vergleich: Finanziell gut gestellte Briten stocken ihren Kleiderschrank im Schnitt um 50 Teile im Jahr auf.

Welche Rolle Regulierung dabei spielen kann, das Ziel zu erreichen, zeigt das Beispiel Frankreich. Die Regierung versucht seit einigen Jahren mittels Vorschriften die Folgen des Modehandels auf die Umwelt zu reduzieren. Die Zerstörung, oft durch Verbrennen, von nicht verkauften Artikeln ist verboten, Textilhersteller sind verpflichtet, selbst für das Recycling oder die Entsorgung ihrer Produkte Sorge zu tragen.

Ausgerechnet in einem der wichtigsten Zentren der Modebranche wird daher deutlich weniger Fashion konsumiert. Mit 146 Kilogramm je Jahr und Kopf sind die auf Textilien zurückzuführenden Emissionen in Frankreich die mit Abstand niedrigsten aller Industrieländer.

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