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Künstliche Intelligenz: Deutschland ist eine Hochbegabte mit Selbstzweifeln

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Der Bedenkenträger ist ein Meister aus Deutschland. Das Neue sei selten das Gute, da das Gute nur kurze Zeit das Neue sei, mahnte Arthur Schopenhauer. Zu seiner Zeit, im 19. Jahrhundert, schockierten reisende „Elektrisierer“ die Menschen, Franklin erfand den Blitzableiter, Batterien wurden gebaut. Strom war die neue Kraft und wälzte die Welt um. Zeitgenossen fanden das sicher beunruhigend.

Auch die KI-Software ChatGPT wirkt wie ein (Alarm-)Signal: Skeptiker fordern bereits ein Tempolimit für Innovation, ja, ein Aus für generative künstliche Intelligenz steht im Raum. Die aufgeblähte geplante KI-Verordnung aus Brüssel stuft Textwerkzeuge wie ChatGPT als Hochrisikotechnik ein – und verunsichert damit Start-ups, Forscher und Investoren.

Die Balance zwischen Regulierung und Innovationsfreiheit ist noch nicht gefunden. Auch das Weiße Haus justierte nach und stellte im Herbst den „Blueprint for an AI Bill of Rights“ vor, eine Grundrechte-Charta für das KI-Zeitalter.

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Regulierung allein schafft jedoch keine Wertschöpfung. In den USA vergeben regierungsnahe Forschungseinrichtungen Großaufträge, China investiert Milliarden in die KI-Forschung, Israel hat eine brillante Start-up-Szene, Indien gilt als Talentschmiede, und afrikanische KI-Initiativen gründen inzwischen sogar in London und Mainz. Doch wir Deutsche denken als Erstes an TÜV und DIN-Normen.

Das Land Hessen und der Technikverband VDE haben Anfang Februar in Frankfurt den „AI Quality & Testing Hub“ aufgemacht, Deutschlands erste Anlaufstelle zum Testen von KI-Anwendungen, perspektivisch mit Prüfsiegel. Die Bundesregierung gibt eine Technikfolgenrisikoabschätzung in Auftrag; die LEAM-Initiative des KI-Bundesverbands plant, große KI-Modelle in Europa zu bauen, und erstellt – eine Machbarkeitsstudie. Bloß: Die anderen haben ihre KI-Systeme längst fertig und erobern damit Märkte.

Den Aleph-Alpha-Gründer hielt es nicht bei Apple

In den KI-Teams auf der ganzen Welt sind Deutsche stark vertreten. Der Dresdner Expat Richard Socher baute im Silicon Valley als Erster eine KI-Suchmaschine, You.com. Socher ist mutig, neulich war er in München. Einer, der mit ihm studiert hatte, frotzelte: „Wenn er mit uns Neandertalern spricht, dann laufen die Geschäfte drüben wohl nicht so.“

Ausgewanderte deutsche Investoren bescheinigen uns eine „Klappt eh nicht“-Mentalität, wenn sie vom Silicon Valley anreisen. Deutschland ist eine Hochbegabte mit Selbstzweifeln. Jonas Andrulis hingegen ist zuversichtlich, an Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht. Er gehörte auch zu den Auswanderern, vorübergehend. Den Wirtschaftsingenieur und Seriengründer hatte es jedoch nicht bei Apple in den USA gehalten, wo er leitend in der KI-Forschung tätig war.

Im Jahr 2019 gründete er in Heidelberg die Firma Aleph Alpha. Anfragen nach KI made in Germany liefen zahlreich ein, sagt er, neue Partnerschaften entstünden. Mit Forschung zu KI-Sicherheit, erklärbarer KI und großen KI-Modellen für Computervision und Text stehen die Alephs auf eigenen Füßen. Ihr KI-System Luminous verstand als Erstes weltweit nicht nur Sprache, sondern auch Bilder. Das Start-up gilt in der deutschen KI-Landschaft als ein Hoffnungsträger.

Aleph Alpha gilt – neben der Google-Tochter DeepMind – als einziges KI-Forschungs- und Anwendungs-Unternehmen in Europa, das bei der Entwicklung großer Sprachmodelle mit den besten Teams der USA mithalten kann. Es baut und forscht in Kooperation mit Technischen Universitäten und Partnern aus der Industrie.

Die Modellserie Luminous ist ähnlich vielseitig wie OpenAIs GPT-3 und mit bis zu 300 Milliarden Parametern doppelt so groß. Im Gegensatz zur US-Konkurrenz bemühen die Heidelberger sich um Transparenz und veröffentlichen wesentliche Forschungsergebnisse vollständig reproduzierbar. Teile davon sind als Code und KI-Modell Open Source.

Ein wesentlicher Unterschied ist, dass die Zielgruppe der Heidelberger nicht Privatleute sind, sondern Behörden, Unternehmen und Public-private-Partnerschaften, die in Bereichen mit hohen Sicherheitsanforderungen tätig sind – im Gesundheitswesen, dem Finanzsektor oder der Justiz – und ihre Daten keiner US-Maschine anvertrauen möchten.

Europäische Auflagen, Datenschutz und Schutz der Privatsphäre bleiben gewahrt, und die Kunden behalten die Hoheit über ihre Wertschöpfung. Die Entwicklung findet großteils im eigenen Rechenzentrum statt. Für Kunden entstehe dabei laut Andrulis keine Abhängigkeit, da die Software in jeder Umgebung laufe.

Das zweite deutsche KI-Einhorn nach DeepL?

Der Deutsche führt Aleph Alpha gerade in die große dritte Finanzierungsrunde. Den „Deutschen KI-Preis“, den WELT alljährlich verleiht, haben er und sein Team aus 50 Mitarbeitern 2021 gewonnen, für den Gründerpreis waren sie nominiert, und laut „Business Insider“ wollen namhafte internationale Investoren bei der nächsten Finanzierungsrunde wohl 100 Millionen US-Dollar oder mehr in das Badener Unternehmen stecken.

Aleph Alpha könnte mit bis zu einer Milliarde US-Dollar bewertet werden. Potenziell ein neues KI-Einhorn – nach DeepL das zweite Unternehmen in Deutschland, dessen Wert auf mindestens eine Milliarde US-Dollar geschätzt wird.

Im Vergleich zu den 20 Milliarden bei OpenAI nimmt sich die Finanzierungsrunde von Aleph Alpha zwar bescheiden aus. Aber die Heidelberger sind ehrgeizig und schnell und clever. Ein eigenes KI-Hochleistungsrechenzentrum in Bayern haben sie bereits, und auch ein Büro in Berlin.

Der Mathematiker Falk-Florian Henrich hat einen anderen Ansatz gewählt als der KI-Generalist Andrulis. Mit seiner Berliner Gründung Smart Steel Technologies (SST) entwickelt er Software, die die Produktionsprozesse in Stahlwerken wesentlich verbessern kann. Mitte Februar ist der Technologiekonzern Heraeus mit etwa 47 Prozent als größter Anteilseigner bei SST eingestiegen.

Die KI-basierten Programme errechnen automatisch in Echtzeit Vorhersagen sowie Empfehlungen zur Optimierung des Produktionsprozesses, zum Beispiel die bestmögliche Temperatur bei Flüssigstahl oder die optimale Produktionsplanung. Dadurch können Stahlhersteller effizienter, umweltschonender und sicherer arbeiten.

Das SST-Team ist in der Stahlbranche ein Begriff

Die Zielgruppe nimmt das SST-Angebot an. Man hat Kunden in Europa, Nordamerika und Südamerika, darunter die Stahlunternehmen Arcelor-Mittal und Vallourec. In der Branche sind Henrich und sein Team aus 50 Software-Ingenieuren, Stahlexperten, Mathematikern und Physikern international ein Begriff, man unterhält eine Tochterfirma in den USA. Das Betriebssystem hat kaum Konkurrenz.

Dank der Maschinendaten wird SST nicht in Konflikt geraten mit der Datenschutzverordnung DSGVO und der europäischen KI-Verordnung: Denn wenn Maschinen mit Maschinen sprechen und Mathematiker den Maschinentalk moderieren, entsteht kein ethisches Problem.

Die Forschung in Deutschland ist ausgesprochen stark. Sie sollte öfter in Gründungen münden – vor Ort. Macher wie Falk-Florian Henrich und Jonas Andrulis ziehen Fachkräfte aus dem Ausland an. Beide stärken den Standort und tragen dazu bei, dass Europa technologisch souverän bleibt. Deutschland gilt noch als Hightech-Land. Einmal das Neue nicht miesmachen, sondern Weltspitze wagen. Aleph Alpha und Smart Steel machen es vor.

Silke Hahn ist Technik-Redakteurin beim IT-Magazin „Heise“.

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