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Krise nur „bis dato“ gemeistert: Gaspreise könnten sich noch einmal verdoppeln

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Die Gasspeicher sind gut gefüllt, die Preise sinken, die Nachfrage ist gedämpft. Doch die vermeintliche Ruhe an der Energiepreisfront trügt. Die Feuertaufe für die europäische Energiepolitik könnte noch bevorstehen.

Wenige Tage vor dem offiziellen Frühlingsanfang erlebte Europa – weitgehend unbemerkt – einen besonderen Moment: Zum ersten Mal in diesem Jahr wurden die Erdgasspeicher in der Europäischen Union netto wieder befüllt – nach langen Wochen, in denen der Winter die Betreiber dazu gezwungen hatte, Gas für Industrie und Haushalte abzugeben. Es war ein Augenblick zum Aufatmen, ein Signal nach einem Winter, der mit düstersten Prognosen begonnen hatte. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der weitgehende Stopp der Gaslieferungen durch den Kreml hatten die Angst geschürt, Europas Unternehmen und Konsumenten könnten unter den steigenden Preisen für den Brennstoff in die Knie gehen. Sogar vor Versorgungsengpässen wurde gewarnt.

Nichts davon trat ein. Denn – und das ist die zweite Nachricht: Die EU steht in diesem Frühling nicht nur mit volleren Speichern da als für diese Zeit im Jahr üblich. Die Preise für Erdgas sind darüber hinaus auch auf ein Niveau gefallen, das noch im Januar kaum ein Beobachter für möglich gehalten hätte. Am Montag fiel der Terminkontrakt am niederländischen Referenzpunkt TTF auf unter 40 Euro pro Megawattstunde. Das ist nur noch etwa ein Neuntel des Preises aus der Zeit unmittelbar nach dem Kriegsbeginn. Und die Kosten für das Gas erreichen damit ein Niveau wie im Sommer 2021, also kurz vor dem Start der folgenden Energiekrise. Sie liegen immer noch über dem Niveau der vergangenen Jahre, aber der Abstand fällt nur noch in den Bereich normaler Preisschwankungen.

Die Gründe für den Preisverfall und die stabile Lage sind inzwischen bekannt: Die EU und vor allem Deutschland als größte Volkswirtschaft haben auf andere Lieferanten wie Norwegen und Katar umgestellt, in Windeseile Terminals für den Import von Flüssiggas (LNG) aufgebaut, im großen Umfang Gas eingespart und in den Monaten der Panik des vergangenen Sommers ohne Rücksicht auf die Kosten die Speicher aufgefüllt. Es war der „Whatever it takes“-Moment der Energiepolitik, und er hatte die erwünschte Wirkung. Die Märkte haben sich beruhigt, die Furcht ist weg. „Ein Szenario wie Mitte 2022, als Europa wie verrückt zu jedem Preis Erdgas einkaufte, um für die Heizsaison gewappnet zu sein, wird sich nicht wiederholen“, schreibt Holger Schmieding, Ökonom der Berenberg Bank, in einer aktuellen Marktanalyse.

Die Feuertaufe kommt noch

Die Wissenschaftler des Brüsseler Bruegel-Instituts loben die „resolute“ Reaktion der EU, die das Schlimmste verhindert habe. „Die Krise wurde bis dato gemeistert durch entschiedenes Handeln, Umstellung auf andere Brennstoffe und schnelle Anpassungen, heißt es da.

Die entscheidenden zwei Wörter aber sind womöglich „bis dato“. Unter Umständen steht die Feuertaufe für die europäische Energiepolitik in diesem Jahr noch bevor. Es ist das erste Jahr, in dem die EU im Grunde fast vollständig ohne russische Gaslieferungen auskommen muss. Deutschland und andere Länder werden also abhängiger von LNG-Lieferungen und damit auch von den Preisschwankungen auf den Weltmärkten. Und dabei spielt ein Faktor eine entscheidende Rolle: Wird die Nachfrage aus China wieder anspringen, und wenn ja, in welchem Umfang?

Fast alle Marktbeobachter sind daher ausgesprochen vorsichtig, wenn sie die Lage für den kommenden Winter beurteilen. Die derzeit vergleichsweise niedrigen Gaspreise könnten sich bis zum kommenden Jahr noch einmal „verdoppeln“, warnt das Rohstoffanalyse-Team der Investmentbank Goldman Sachs. „Wir erwarten erst 2025 eine nachhaltige Lösung für die europäische Energiekrise“, heißt es da – abhängig von LNG-Produktionskapazitäten, die derzeit noch aufgebaut würden. Allerdings hatte auch Goldman Sachs den akuten Preisverfall beim Erdgas nicht in dieser Höhe vorhergesehen, die US-Banker hatten für das Frühjahr 2023 eher mit 85 als mit 40 Euro pro Megawattstunde gerechnet.

Auf einen bemerkenswerten Umstand weisen die Analysten von Wood Mackenzie hin, einer auf Energiefragen spezialisierten Beratungsgruppe: Angesichts der hohen Gaspreise hatten europäische Konzerne die Produktion von Ammoniak zurückgefahren, einem Grundstoff, der unter anderem für Dünger gebraucht wird. Die nun wieder sinkenden Gaskosten aber führen nach Beobachtung von Wood Mackenzie dazu, dass sich der Markt dreht und die Herstellung in Europa wieder rentabel wird: „Nach unserer Einschätzung könnte das zehn Milliarden Kubikmeter an zusätzlicher Nachfrage bedeuten, wenn die Fabriken ihre Produktion wieder voll hochfahren.“

Die aktuelle Lage ist also nur zum Teil beruhigend. Die Speicher sind gut gefüllt, die Preise sinken, die Nachfrage ist gedämpft. Doch solange die Energiemärkte in Europa nicht vollständig umgebaut sind, ist die Stabilität trügerisch. Und der nächste Winter kommt bestimmt.

Der Artikel erschien zuerst bei Capital.de.

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