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Den Bahn-Hassern fehlt es an Respekt

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„Es ist eine Sauerei, jedesmal zu streiken. Deutsche Bahn nur noch zum K*. Kein Verständnis. Hier wird der Kunde terrorisiert. Das ist Unterschlagung. Schutzgeld-Erpressung. Eigentlich sollten die Bahnkunden mal streiken.“ Vier Ausrufezeichen.

So klingt es, wenn auf dem Facebook-Profil der Deutschen Bahn der Volkszorn hochkocht. Weil das Unternehmen angekündigt hat, wegen eines Mitarbeiter-Ausstands für einen Tag seinen Betrieb weitgehend einstellen zu müssen.

Der Streik zweier Gewerkschaften führt dazu, dass an diesem Montag kaum etwas gehen wird an Deutschlands Bahnhöfen, Häfen und Flughäfen. Und die Empörung über diese Einschränkung in ihren Mobilitätsgewohnheiten kennt bei vielen keine Grenzen.

Am stärksten entlädt sich die Wut einmal mehr bei der Bahn. Denn auf Bahn-Bashing können sich die meisten Deutschen einigen. Wie auf Kommando bekommen sie nun wieder Schaum vor dem Mund, weil sie 24 Stunden lang auf eine Dienstleistung verzichten müssen, die sie im übrigen Jahr doch als größtmögliche Zumutung empfinden. Bahn-Verzicht scheint für sie offenbar noch schlimmer zu sein. Vielleicht, weil sie dann ihre Verspätungsmeldungen nicht triumphal verbreiten können.

Ich pendle aus beruflichen Gründen regelmäßig zwischen Hamburg und München. Mit der Bahn. Im Jahr lege ich an die 50.000 Kilometer auf der Schiene zurück. Jede Störungsvariante von A wie Air Condition kaputt bis Z wie Zugausfall kenne ich aus persönlicher Erfahrung. Dennoch oder gerade deshalb befremdet mich die Wut der Deutschen auf die Bahn und auf den Streik.

Es beginnt damit, dass die Streik-Empörung zwar in großer Schärfe vorgetragen wird, dabei aber zugleich im Kern unscharf bleibt. Es wird nicht ganz klar, wer eigentlich genau gemeint ist, wenn auf „die Bahn“ geschimpft wird. Der Begriff an sich bezeichnet das Unternehmen, doch gegen den DB-Konzern kann es ja eigentlich in diesem Fall mal nicht gehen.

Den Bahn-Hassern fehlt es an Respekt

Der Arbeitgeber hat ja nicht zum Streik aufgerufen. Demnach richtet sich die Empörung also gegen die Bahner. Gegen all die rücksichtslosen Weichensteller, unverschämten Mülleimerentleerer und die ohnehin unmöglichen Zugbegleiter, die für eine bessere Bezahlung das ganze Land „in Geiselhaft“ nehmen, wie zu lesen ist.

In solchen Zuspitzungen zeigt sich, woran es vielen Bahn-Hassern fehlt: an Respekt. Wer viel in Zügen sitzt, erlebt regelmäßig Menschen, die sich im Umgang mit den dort arbeitenden Menschen in einer Weise respektlos zeigen, die sonst selten anzutreffen ist.

Jeder Hans spielt sich bei der Bahn auf wie Graf Koks

Wie selbstverständlich lassen die meisten ihre Kopfhörer auf, wenn die Fahrkarten kontrolliert werden. Wahrgenommen wird das Zugpersonal erst, wenn es etwas zu meckern gibt. Dafür wird es dann schnell umso persönlicher.

Da wird die Bordbistro-Bedienung zusammen geschrien, als sei sie persönlich für das ganze verpfuschte Leben des Geschäftsreisenden verantwortlich, dem wegen eines verpassten Anschlusszuges eine halbe Stunde Wartezeit in Kassel-Wilhelmshöhe droht. „Sie können da jetzt vielleicht nichts für, aber…“

Jeder Hans und Franz spielt sich bei der Bahn auf wie Graf Koks von der Gasanstalt. Jede Durchsage wegen einer um fünf Minuten verzögerten Weiterfahrt in Hannover wird bestenfalls mit hämischem Grinsen in die Runde und sarkastischen Lachern quittiert.

Mit Sprüchen über die Bahn kann man immer auf billigen Zuspruch hoffen, auch abends in der Skatrunde. Und jetzt streiken sie auch noch – haha. Als würde das einen Unterschied machen – man kommt doch eh nie an mit der Bahn!

Die Wahrheit ist, dass einen die Bahn in Wirklichkeit fast jedes Mal ans Ziel bringt, irgendwie. Es gibt zwar praktisch immer ein Problem mit irgendetwas, aber am Ende geht es zumeist nur um ein paar Minuten, wenn es richtig dicke kommt, vielleicht ein paar Stunden. Glücklich, wer im Leben keine größeren Probleme hat.

Kein Grundrecht, jederzeit überallhin chauffiert zu werden

Woher kommt eigentlich diese Anspuchshaltung? Woher kommt diese selbstverständliche Erwartung von Pünktlichkeit und permanenter Verfügbarkeit einer Dienstleistung, die man in Anspruch nehmen kann oder es lassen? Es gibt kein Grundrecht darauf, jederzeit überallhin chauffiert zu werden. Es ist toll, dass man es trotzdem fast immer kann. An diesem Montag halt mal nicht.

Was es hingegen gibt, ist ein Streikrecht. Die Menschen dürfen bei zweistelligen Inflationsraten um mehr Geld kämpfen, viele müssen es vielleicht sogar, weil ihnen sonst nämlich nicht nur an Streiktagen der Flug nach Mallorca und der Zug nach Westerland verwehrt bleiben, sondern immer.

Weil sie sich keinen Urlaub mehr leisten können. Spricht man mit Managern oder Unternehmern, äußern diese zumeist Verständnis dafür, auch wenn es nervt. Wieso ist ausgerechnet unter Angestellten die Solidarität so gering?

Die Streik-Wut wird oft bemäntelt mit Sorgen um die Ökonomie. Ausgerechnet jetzt, nach Pandemie, Lieferkrise, Krieg, da kann man doch nicht noch für einen ganzen Tag unsere Infrastruktur lahmlegen! Die Wahrheit ist, dass auch die Lohnforderungen eine Folge von Krise und Inflation sind. Die Wirtschaft wird es aushalten. Höhere Löhne bedeuten auch mehr Kaufkraft, der Handel freut sich.

Das Geschrei ist groß, weil am Montag auch der Nord-Ostseee-Kanal dicht gemacht wird. Unsere logistische Hauptschlagader komplett dicht – wie groß wird allein da der volkswirtschaftliche Schaden sein? Null, sagen die, die sich auskennen. Erst vor kurzem war der Kanal aus anderen Gründen gleich mehrere Tage lang gesperrt. Die Schiffe fuhren halt rund Skagen.

Irgendeinen Weg werden wir alle finden, an diesem Montag klarzukommen. Wir müssen es nur wollen.

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