Über 100 Millionen Nutzer, so rechnet Netflix vor, würden nicht für ihre Streams bezahlen, sondern lieber das Konto von Freunden nutzen. Deshalb bereitet der Konzern das Ende des Account-Teilens vor. Das kommt bald auf Nutzer zu.
Seit Monaten kündigt der Streaming-Riese Netflix an, dass er das Teilen von Benutzerkonten unterbinden will, zuletzt hatte Netflix anlässlich der Bilanzpressekonferenz von Einschränkungen noch in diesem Quartal gesprochen. Kein Wunder: Über 100 Millionen Nutzer, so rechnet der Konzern vor, würden nicht für ihre Streams bezahlen, sondern lieber das Konto von Freunden nutzen.
Doch konkrete Maßnahmen blieben bislang aus. Am Dienstag jedoch schien es, als würden den Ankündigungen Taten folgen: In den Netflix-Nutzungsinformationen tauchten erstmals neue Regeln auf. Zwar ruderte Netflix wenig später wieder zurück, ein Sprecher sagte, die Regeln würden zunächst nur für die Nutzer in diversen lateinamerikanische Staaten gelten.
Dennoch zeigt die Veröffentlichung, wie sich Netflix künftig gegen geteilte Konten wehren möchte: Künftig sollen die Nutzer für ihren Haushalt einen Hauptstandort festlegen – nur wer im zu der Adresse passenden WLAN-Netz unterwegs ist, darf unbegrenzt streamen.
Damit die legitimen Nutzer einer Familie auch auf Reisen oder auf Besuch bei Freunden weiter Netflix auf ihren Mobilgeräten streamen können, will Netflix die Mobilgeräte bei Verbindung mit dem Heimat-WLAN verifizieren. Nur wer mindestens alle 31 Tage einmal zu Hause streamt, behält die Netflix-Verbindung zum Heimatstandort und kann es auch weiter unterwegs nutzen.
Reisende Nutzer, die Netflix auf einem Firmenlaptop oder Hotel-Fernseher verwenden möchten, können bei der Anmeldung alternativ einen temporären Code vom Dienst anfordern, der ihnen sieben aufeinanderfolgende Tage lang Zugriff gewährt.
Was auf den ersten Blick einfach klingt, könnte in der Realität für jede Menge Probleme sorgen: Das Haushalts-Modell funktioniert nur, wenn Nutzer eines Kontos auch tatsächlich ein gemeinsames WLAN nutzen. Schon wenn einzelne Geräte mangels DSL-Bandbreite statt über WLAN über Mobilfunk streamen, könnte es schwierig werden.
Technisch gesehen ist es nicht schwierig, die Account-Sperre zu umgehen
Auch Nutzer, die etwa über ein großes, verteiltes Netzwerk wie etwa ein Universitäts-Netz auf Netflix zugreifen, könnten mit der Haushaltsregel in Schwierigkeiten geraten. Auch Nutzer, die aus Sicherheitsgründen via VPN surfen, könnten gesperrt werden.
Überdies geht Netflix von einem sehr klassischen westlichen Familienmodell aus, wie der Copyright-Experte und Autor Cory Doctorow auf Twitter kritisierte. „Ein Testfall sollte eine Familie in Manila sein: wo der Vater in abgelegene Provinzen reist, um landwirtschaftliche Arbeit zu leisten; die Tochter ist ein Kindermädchen in Kalifornien, und der Sohn macht Bauarbeiten in den Vereinigten arabischen Emiraten.“ Auch Scheidungskinder, die zwischen Haushalten wechseln, könnten in Probleme geraten.
Doctorow führt an, dass die Netflix-Programmierer automatisch von sich auf andere schließen: „Dies ist eine wiederkehrende Form von Techno-Hybris: die Vorstellung, dass grundlegende Konzepte wie „Familie“ klare Definitionen haben und dass alle Ausnahmen Ausreißer sind.“
Technisch gesehen ist es jedoch nicht sonderlich schwierig, die Account-Sperre zu umgehen. Nutzer können auf ihrem Router zu Hause einen VPN-Zugang einrichten. Wenn sie sich von unterwegs mit diesem VPN verbinden, dann erscheint das Mobilgerät gegenüber Netflix mit der richtigen IP am richtigen Standort verbunden.
Schon jetzt ist ein technischer Wettlauf absehbar: Erst etabliert Netflix neue Regeln, dann finden die Nutzer Wege, diese zu umgehen, dann wiederum sperrt Netflix ein wenig mehr. Das Problem dabei ist jedoch, dass Netflix damit für reguläre Nutzer eventuell immer unattraktiver wird – auch das ist der Grund, warum der Konzern bislang so sehr zögert.
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