Auf den Fußball solle sich Ozan Kabak konzentrieren, sagen sie in Hoffenheim zu Beginn der Saison. Der Türke hat da turbulente Jahre hinter sich, permanent umtost vom wilden Abstiegsstrudel. Dem hat er wenig entgegenzusetzen. Und steckt nun schon wieder mittendrin – nicht ganz unverschuldet.
Nein, der TSG Hoffenheim geht es gar nicht gut in diesen Tagen. Seit 14 Spielen, seit dem vergangenen Oktober, wartet der auf Champions-League-Niveau in die Saison gestartete Klub in der Bundesliga auf einen Sieg. In den bitteren Monaten purzelte man nach jenem 10. Spieltag und dem Sieg gegen den FC Schalke 04 von Platz 4 durch die Tabelle – und ist nun, nach dem 24. Spieltag – ganz unten aufgeschlagen: Platz 18. Letzter. Und Schuld daran ist Ozan Kabak.
Eigentlich ist der türkische Nationalspieler einer, der sich gegen Niederlagen stemmt. Einer, an dem der beispiellose Absturz kaum festzumachen ist. Einen „Fighter“ nennt Trainer Pellegrino Matarazzo seinen Innenverteidiger. Der ist einer der besten Kopfballspieler der Liga, mit seiner Passquote von 89,18 Prozent kratzt er an der Top 10. Doch am Wochenende beim SC Freiburg, als der Abstiegskandidat beim Champions-League-Aspiranten bis wenige Minuten vor dem Ende einen überlebenswichtigen Punkt in den Händen hielt, setzte beim 22-Jährigen was aus: Nach einem Foul im Mittelfeld, Schiedsrichter Harm Osmers verteilte gerade eine Gelbe Karte an John-Anthony Brooks, nahm der bereits verwarnte Kabak den Ball in die Hand und warf ihn einige Meter weg. Ein Blackout, den Osmers mit der Gelb-Roten-Karte ahnden musste.
„Eine dumme Gelb-Rote Karte“
Fünf Minuten später traf Ritsu Doan zum 2:1 und zum Freiburger Sieg. Aus klassischer Mittelstürmerposition, weil Außenverteidiger Angelino mit dem langen Bein zu spät kam. Oder eher: Weil der Innenverteidiger fehlte. „Knackpunkte waren die Effienz der Freiburger und die Gelb-Rote Karte, die unnötigerweise passiert ist“, sagte TSG-Trainer Matarazzo. Der US-Amerikaner hat seit seinem Amtsantritt im Februar alle fünf Bundesligaspiele verloren hat – vier davon nur mit einem Tor Unterschied. Eine Katastrophen-Bilanz: „Wir wissen, was wir an Ozan haben, er ist ein richtiger Fighter und haut sich rein mit vielen Emotionen. Er war sich wohl nicht bewusst in dem Moment, dass er schon eine Gelbe Karte hat, ich will das nicht schönreden, er muss da einen kühlen Kopf bewahren, aber dem Jungen tut es richtig leid, richtig“, sagte Matarazzo.
Die Mitspieler gingen hart mit ihrem Verteidiger ins Gericht: „Wir dürfen das Spiel nicht mit zehn Mann beenden“, schimpfte Kapitän Oliver Baumann, „ich hatte das Gefühl, dass wir dran waren.“ Angelo Stiller, der zuvor mit seinem 1:1 der TSG Hoffenheim Hoffnung geschenkt hatte, ärgerte sich über den Aussetzer des Kollegen: „Eine dumme Gelb-Rote Karte“, schimpfte der Angreifer, „wir waren eigentlich besser im Spiel, das fühlte sich richtig gut an.“ Doch vom guten Gefühl nach dem Ausgleich kann man sich nichts kaufen: Weil die Konkurrenten allesamt punkteten – Hertha BSC, Schalke 04 und der VfB Stuttgart spielten allesamt Remis, der VfL Bochum schlug den 1. FC Köln – vollendete die TSG Hoffenheim nach einer ordentlichen Leistung ihren Absturz: Platz 18, ganz unten. Wegen, so sind sie sich diesmal einig, Ozan Kabak, der eigentlich sehr wenig für die Talfahrt des hochkarätig besetzten Kaders kann.
Eine desaströse Bilanz
Dabei könnte den Fans und Verantwortlichen beim Blick auf die Vita des 20-fachen Nationalspielers angst und bange werden: In den letzten vier Jahren, seit er 2019 als 18-Jähriger von Galatasaray Istanbul zum VfB Stuttgart gewechselt war, stieg Kabak mit drei Vereinen in zwei Ländern ab: Zunächst unterlag der junge Türke, der binnen kürzester Zeit zum Stammspieler und Publikumsliebling geworden war, mit den Schwaben dem damaligen Zweitligisten Union Berlin dramatisch in der Relegation.
Nach seinem Wechsel zum FC Schalke etablierte er sich schnell als Stammspieler – doch Kabaks zweite Saison in Königsblau wurde zum Desaster: -34 Tore und acht Punkte hatte das Team produziert, als sich Kabak nach dem 19. Spieltag zum FC Liverpool verabschiedete. Das Arrangement, bei dem Kabak in der Premier League und der Champions League durchaus überzeugte, endete nach einer Halbserie. Als der Türke nach Gelsenkirchen zurückkehrte, war der Klub nach einer peinlichen Saison abgestiegen. Der FC Schalke reichte seinen Spieler zu Norwich City weiter – wo sich der Verteidiger wiederum mit dem Abstieg verabschiedete.
Im vergangenen Sommer heuerte er nach bewegten Jahren dann also bei der TSG Hoffenheim an, einem Klub mit Ambitionen, aber ohne die ganz große Aufregung, die der sportliche Überlebenskampf in der Liga mit sich bringt. Dachten sie. „Bei uns kann sich Ozan in Ruhe auf den Fußball fokussieren, ohne dass er sich mit vielen Nebengeräuschen beschäftigen muss“, sagte der damalige TSG-Trainer André Breitenreiter. „Das ist einer der Gründe, weshalb er sich dazu entschieden hat, zur TSG zu wechseln.“
Kabak selbst pries den neuen Arbeitgeber: „Ich bin sehr glücklich über meinen Wechsel zur TSG. Hoffenheim ist einer der spannendsten Klubs in Deutschland“, sagte er hoffnungsvoll im Juli. „Ich bin gespannt auf die Mannschaft, die Zusammenarbeit mit dem neuen Trainerteam und bin froh, jetzt direkt hier einsteigen zu können.“ Es kam ganz anders, als es sich alle erhofft hatten: Breitenreiter flog Ende Januar raus, Kabak ist noch da. Im Abstiegskampf, am Boden des Abwärtsstrudels. Am Samstag empfängt die TSH Hoffenheim Hertha BSC zum großen Abstiegsgipfel. Ozan Kabak wird dann fehlen.