Viele Zuschauer hatten das Stadion bereits verlassen, als die Spieler des FC Bayern mit hängenden Köpfen vor die Südkurve trotteten. „Das muss man erst einmal sacken lassen“, sagte der Stadionsprecher des deutschen Fußball-Rekordmeisters nach dem 1:3 (1:0) gegen RB Leipzig.
Es war ein ganz bitterer Samstagabend für den Münchner Klub. Seine Ausgangslage im Meisterschaftskampf der Bundesliga hat sich nach seiner ersten Heimniederlage seit 16 Monaten enorm verschlechtert: Gewinnt Borussia Dortmund am Sonntag (17.30 Uhr, DAZN) beim FC Augsburg, haben die Bayern es nicht mehr in der eigenen Hand, den Titel zu gewinnen. Das Minimalziel dieser wilden Saison könnte in weite Ferne rücken. Der Klub wirkte deshalb wie in einem Art Schockzustand, Ehrenpräsident Uli Hoeneß auf der Ehrentribüne konsterniert. Möglicherweise war es der entscheidende Rückschlag für die Bayern.
Wieder einmal gaben sie eine Führung aus der Hand. Serge Gnabry hatte das 1:0 (25.) erzielt, Konrad Laimer für Leipzig ausgeglichen (65.). Christopher Nkunku traf per Foulelfmeter zum 2:1 (76.), Dominik Szoboszlai per Handelfmeter zum 3:1 (86.). Die Leipziger siegten auch dank ihres starken Umschaltspiels. Genau davor hatte Trainer Thomas Tuchel seine Mannschaft gewarnt. Den Bayern droht die erste titellose Saison seit elf Jahren.
Gegen 21 Uhr am Samstag kam Oliver Kahn aus der Mannschaftskabine. Die Enttäuschung war ihm anzusehen, am 30. Mai tagt der mächtige Aufsichtsrat des Klubs, dem unter anderem Hoeneß angehört, auch über seine Zukunft als Vorstandschef (Vertrag bis Ende 2024).
„Intelligent haben wir uns da nicht angestellt“, sagte der ehemalige Weltklasse-Torwart über die zweite Halbzeit. „Ich habe das Gefühl gehabt, dass es nach dem 1:0 immer weniger wurde.“ Kahn seufzte und fuhr fort: „Wir führen 1:0 und lassen uns dann auskontern.“ Nach dem Ausgleich habe man noch viel Zeit gehabt, das 2:1 zu schießen. „Aber ich habe nicht das Gefühl gehabt, dass wir das noch im Tank haben.“
Kahn weiter: „Es ist schon das ein oder andere Mal passiert in der Saison, dass man das Gefühl hat, alles bricht zusammen, wenn mal ein Gegentor fällt. Oder wenn die Situation mal schwierig wird, wenn Widerstand entsteht. Ich habe nicht das Gefühl gehabt, dass wir noch groß was entgegenzusetzen hatten nach dem 1:1.“
Was bedeutet das nun für den Meisterkampf? „Das ist bitter. Wir haben es jetzt nicht mehr in der eigenen Hand. Jetzt sind wir abhängig von Ergebnissen auf anderen Plätzen.“ Er sei enttäuscht über die verpasste Chance. Die Spieler würden sich jetzt sicher viele Fragen stellen. „Aber: Noch ist es nicht vorbei!“
Am letzten Spieltag treten die Bayern beim 1. FC Köln an. Kahn beschwörte in der Not den Glauben an den Titel und erinnerte an frühere Meisterschaften. „Es ist vorbei, wenn der Schiedsrichter in Köln abgepfiffen hat. Der Glaube ist immer da. Dafür habe ich schon zu viele Meisterschaften erlebt, die am letzten Spieltag gewonnen wurden.“ Kahn erlebte einst selbst als Torwart die Last-Minute-Meisterschaft des FC Bayern in Hamburg. „Wir werden den Teufel tun und irgendetwas abschenken.“
Ungewohnte Situation für den FC Bayern
Wenig später kam Samstagabend auch Hasan Salihamidzic aus der Kabine. Der Sportvorstand des FC Bayern sagte: „Heute hat es nicht gereicht, ganz klar.“ Anders als Kahn sprach er über das, was den Gau bei dem Weltklub bedeuten würden: titellose Saison. „Wir müssen jetzt sehen, ob wir vielleicht so eine Saison haben, wo wir keinen Titel holen.“ Er habe es lieber in der eigenen Hand. „Jetzt müssen wir hoffen. Jetzt müssen wir Daumen drücken. Einfach warten und schauen, was passiert.“
Der Auftritt der Mannschaft war nicht Bayern-like. Es fehlten die Spieler, an dem sich das Team nach dem Ausgleich aufrichten kann. Es mangelt an Stabilität und Effektivität. „Wir haben nicht vor Selbstvertrauen gestrotzt. Auch die Spieler haben sich mehr erwartet“, so Salihamidzic.
Den Bayern bleibt nun nichts anderes, als sich Mut zuzusprechen. Sehr ungewohnt für diesen Klub. „Die zweite Halbzeit war schon sehr schwach“, sagte Weltmeister Thomas Müller. „Wenn du von draußen draufschaust: Hanebüchen, wenn du 1:0 vorne bist und ein Gegentor nach einem eigenen Eckball bekommst“, so der Offensivstar über den Spielverlauf. „Das ist schon hart zu verdauen.“
Wie Kahn versuchte auch Müller, den Blick irgendwie nach vorn zu richten. „Ich sehe deutlich, dass wir alles bündeln müssen für die nächste Woche. Und drei Punkte holen müssen.“ Man hinterfrage sich natürlich jetzt selbst. „Wir haben die Chance zu gewinnen in Köln. Ich will Dortmund erst mal zweimal siegen sehen“, betonte Müller. „Wenn sie das tun, dann sage ich: Hut ab! Dann haben sie es auch verdient mit dieser Rückrunde. Aber wir haben noch zwei Spiele zu gehen.“ Es sei eine relativ einfache Rechnung: „Wir haben eine Woche. Und da können wir es drehen. Noch sind wir vorne. Da können wir die Meisterschaft holen.“
Kahn und Salihamidzic stellten Ende März Julian Nagelsmann frei und verpflichteten Thomas Tuchel. Damals hatten die Bayern noch Chancen auf alle drei Titel. In elf Pflichtspielen unter Tuchel verloren die Münchner mehr Partien (vier) als im vorherigen Saisonverlauf unter Nagelsmann (drei Niederlagen in 37 Partien). Die Bayern haben zum 13. Mal in dieser Bundesliga-Saison Punkte abgegeben (acht Unentschieden, fünf Niederlagen), so oft wie zuletzt 2010/2011 Jahren, als Dortmund Meister wurde.
Tuchel war sauer. „Ich will ein Spiel nicht verlieren, weil es durch die Hände gleitet, weil niemand mehr in den Details das macht, was uns stark macht“, sagte der Trainer bei Sky. „Ich habe keine Erklärung, wie so etwas passieren kann. Wir kommen aus einer guten Phase. Ich sehe die Mannschaft trainieren, sehe die Energie, sehe den Spirit, die Qualität im Training.“
Man müsse sich anpassen. „Wenn du in New York über die Straße gehst, gehst du anders als wenn du in Bogenhausen (Stadtteil in München, d. Red.) über die Straße gehst. Wenn du ohne zu gucken gehst, wirst du überfahren.“ Tuchel sagte am Ende aber auch: „Die Saison ist noch nicht beendet.“ Das Spiel der Dortmunder in Augsburg werde er sich „bestimmt nicht“ anschauen.
Hätten die Bayern die Meisterschaft nach all den Schwächen in dieser Saison überhaupt verdient? Müller antwortete: „Wer oben steht, hat die Schale verdient.“