Er hatte angekündigt, etwas Neues probieren und Spieler holen zu wollen, die Raum dafür erhalten sollen, sich im Kreis der deutschen Nationalmannschaft zu präsentieren. Hansi Flick, der Bundestrainer, ließ am vergangenen Freitag bekanntlich Taten auf seine Worte folgen. Er berief mit Mergim Berisha, Kevin Schade, Marius Wolf, Josha Vagnoman und Lukas Nmecha gleich fünf Neulinge in den Kader für die Länderspiele am 25. März gegen Peru und drei Tage später gegen Belgien.
Dass Nominierungen Debatten nach sich ziehen, liegt auf der Hand. Da gibt es Zustimmung, da gibt es Kritik. In diesem Fall überwog Letzteres, hat Flick doch Spieler berufen – Wolf und Berisha mal ausgenommen, da sie zuletzt beim BVB bzw. dem FC Augsburg stark aufspielten –, die nicht unbedingt zu überzeugen wussten, geschweige denn, immer erste Wahl gewesen sind.
Lothar Matthäus, seit Jahren ein gefragter Experte in der Branche, zeigte sich verwundert, auch vor dem Hintergrund, dass Flick in Thomas Müller, Leroy Sané, Niklas Süle, Ilkay Gündogan und Antonio Rüdiger auf gleich fünf arrivierte Kräfte beim anstehenden Länderspieldoppelpack verzichtet.
Fünf arrivierte Kräfte fehlen – Matthäus verwundert
„Man muss Hansi selbst fragen, was er sich dabei gedacht hat. Wollen die Spieler eine Pause? Brauchen sie eine Pause? Diese Süles, Sanés, und wie sie alle heißen. Müller und Gündogan waren ja von vornherein schon weg, aber ich bin immer noch der Meinung, dass die Nationalmannschaft etwas Besonderes sein muss“, sagte Matthäus bei Sky und blickte in seiner Kader-Analyse auf die Heim-EM 2024: „Es sind bis zur Europameisterschaft, glaube ich, zwölf Spiele, und es fehlen jetzt wichtige Spieler. Es kommen jetzt welche nach, die man eigentlich gar nicht kennt und die auch im Verein nicht den Stammplatz haben, den man haben sollte, um für die Nationalmannschaft nominiert zu werden.“
Die Debatte über Flicks Nominierung wird vom aktuellen Spieltag insofern befeuert, denn gleich drei von fünf Neulingen standen in ihren Klubs nicht in der Startelf. Erik Meijer, langjähriger Profi und ebenfalls Sky-Experte, sagte über den Stuttgarter Vagnoman: „Ich habe mich gefragt, wieso. Aber ich lasse mich gern überraschen.“ Das will auch Dietmar Hamann tun. Der sonst eigentlich sehr kritische Champions-League-Sieger von 2005 lobte etwa Berisha und Schade. Sie hätten es sich verdient dabei zu sein. „Ich hoffe, dass sie sich entfalten können. Ich finde es gut, dass einige der Älteren nicht dabei sind.“
Allein der Glaube, dass alle fünf Neulinge nachhaltigen Eindruck hinterlassen können, fällt noch etwas schwer – an diesem Wochenende gelang es nur einem.
Marius Wolf, 27: Der Rechtsverteidiger stand in der Startelf des BVB. Wolf, der kurz vor Weihnachten wegen einer Gleichgewichtsstörung vorübergehend passen und deshalb am Herz operiert werden musste, spielt eine starke Saison. Beim 6:1 gegen den 1. FC Köln spielte er durch. Wolf kam auf eine Laufleistung von elf Kilometern, darunter 26 Sprints. Er hatte 98 Ballkontakte.
Mergim Berisha, 24: Der Augsburger Angreifer kommt in der laufenden Saison auf acht Tore und vier Torvorlagen. Beim 1:1 gegen Schalke erlebte er nicht seinen besten Tag. In der 74. Minute wurde er ausgewechselt, nachdem er zuvor einen Torschuss und nur 14 Ballkontakte hatte.
Josha Vagnoman, 22: Beim 0:1 gegen den VfL Wolfsburg wurde der Abwehrspieler des VfB Stuttgart erst in der 62. Minute eingewechselt. Davor war er in vier von sechs Spielen ohne Einsatz im Kader geblieben. „Natürlich kam es für mich auch sehr überraschend“, sagte der U21-Europameister von 2021 nach der Niederlage gegen den VfL. Ursprünglich sei der 22-Jährige für das Aufgebot der U21 vorgesehen gewesen, berichtete VfB-Trainer Bruno Labbadia und erzählte von seinen Telefonaten mit Flick. Vagnoman, der in der Hinrunde länger wegen eines Knochenödems gefehlt hatte, sei nun seit längerer Zeit verletzungsfrei und deswegen bereit für die anstehenden Aufgaben. Er hoffe, dass sein Ersatzspieler bei der Nationalmannschaft Spielpraxis sammeln könne und eine positive Erfahrung wieder mit nach Stuttgart bringe, so der VfB-Coach. „Das können wir gut gebrauchen“, sagte Labbadia: „Spielpraxis zu erlangen bei einem Verein, der gerade um den Abstieg spielt, ist nicht so einfach. Da muss man sich manchmal auch für die Stabilität entscheiden.“
Felix Nmecha, 22: Der offensive Mittelfeldspieler des VfL Wolfsburg spielte bei der Partie in Stuttgart bis zur 75. Minute, ehe er ausgewechselt wurde. Er hatte 40 Ballkontakte, spielte 22 Pässe. In 21 Saisonspielen kommt er auf vier Torvorlagen und zwei Treffer. Nmecha sagte nach dem Sieg beim VfB, dass er nicht mit einem Anruf des Bundestrainers gerechnet habe. „Ich war gerade in meinem Zimmer beim Beten. Dann habe ich den Anruf gekriegt, für mich war das ein großer Moment. Ich kannte die Nummer noch nicht. Es war ein bisschen ein Schock für mich.“
Kevin Schade, 21: Beim 1:1 gegen Leicester City wurde der Stürmer vom FC Brentford am Samstag in 61. Minute eingewechselt. Er hatte nur noch zehn Ballkontakte. Seit seinem Wechsel in der Winterpause vom SC Freiburg kommt er bislang auf insgesamt 187 Spielminuten in acht Spielen und auf fünf Torschüsse. Ein Tor blieb ihm bislang verwehrt. Schade ist schnell, sehr ballsicher. Er ist ausgeliehen bis zum Saisonende, aber ein Anschlussvertrag bis 2028 ist bereits ausgehandelt. Dem Vernehmen nach soll Freiburg eine Ablöse von bis zu 25 Millionen Euro winken – für einen Spieler, dessen Stern in der Spielzeit 2021/22 aufgegangen war. Da kam Schade auf insgesamt 21 Einsätze, von denen er bei sieben in der Startformation stand. Er erzielte vier Tore.
Ob nun ein erster Treffer für die deutsche A-Nationalmannschaft folgen wird, bleibt abzuwarten. Ab Montagnachmittag beginnt die Vorbereitung auf die zwei anstehenden Partien mit einem öffentlichen Training am Stadion Brentanobad.