In einer intensiven Krisensitzung hat die deutsche Nationalmannschaft den WM-Fehlstart aufgearbeitet. Der Blick richtet sich jetzt auf das Spiel gegen Spanien. Eine weitere Protestaktion ist vor der Partie nicht geplant.
Sie gaben sich auskunftsfreudig, als sie am Freitagmittag im Medienzentrum Platz nahmen. Nun gingen Kai Havertz und Julian Brandt zwar nicht ins Detail und nannten keine Namen, wer wem die Meinung gegeigt hat, aber immerhin ließen die zwei deutschen Fußball-Nationalspieler wissen, dass es am Abend zuvor eine ausgiebige Teambesprechung gegeben hatte – eine, in der es nach dem 1:2 beim WM-Auftakt gegen Japan wohl sehr offen zugegangen ist.
„Es ist wichtig, dass wir miteinander reden und dass wir ehrlich sind. Das ist wichtig, wenn man sich gegenübersitzt und in die Augen schaut, auch wenn das nicht immer einfach ist“, berichtete Havertz, der Offensivspieler des FC Chelsea. Er machte keinen Hehl daraus, gegen Japan „nicht ganz im Spiel“ gewesen zu sein. Die Niederlage, ergänzte der 23-Jährige, habe er nach anfänglicher Wut inzwischen verdaut. Es sei klar, dass es in einer Mannschaft mit 26 Spielern nun mal unterschiedliche Meinungen gebe „und man sich auch mal angeht“. Der offene Austausch, den es gab, sei völlig in Ordnung.
Vor dem nun schon entscheidenden Spiel am Sonntag gegen Spanien (20 Uhr/ZDF und MagentaTV) scheint er auch notwendig gewesen zu sein.
„In dem Spiel gegen Spanien liegt auch eine Chance“
Havertz zeigte Verständnis für die öffentliche Kritik aus den eigenen Reihen. Sowohl Kapitän Manuel Neuer als auch Ilkay Gündogan hatten die Mannschaft angezählt. Gündogan etwa hatte davon gesprochen, er habe das Gefühl gehabt, dass es am Ende Spieler auf dem Spielfeld gab, die den Ball nicht haben wollten. Angesprochen darauf, sprach Havertz von einer insgesamt konstruktiven Kritik der Teamkollegen.
„Kritik wie diese tut gut, weil sie der Mannschaft guttut, ob das jetzt öffentlich geschehen muss oder nicht, sei mal dahingestellt“, sagte Havertz: „Wir wissen jetzt, was wir machen müssen.“
Das bestätigte Julian Brandt, der Dortmunder Mittelfeldspieler, der gegen Japan nicht zum Einsatz gekommen war. Er ließ wissen, dass das Trainerteam um Bundestrainer Hansi Flick viele Situationen aus dem Japan-Spiel mit ihnen durchgegangen sei. „Da wurde offen miteinander gesprochen und diskutiert, auch wir Spieler haben zu bestimmten Dingen etwas gesagt“, sagte Brandt und sprach von einer „Scheiß-Situation“, in der das Team ob der Auftaktpleite nun sei.
Aber in dem Spiel gegen Spanien „liegt auch eine Chance, die Stimmung zu drehen. Man kann extrem viel Energie freisetzen“. Brandt erinnerte an die EM im vergangenen Jahr. Da hätte Deutschland im ersten Spiel gegen Frankreich 0:1 verloren und vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Portugal viel Druck gehabt. Deutschland gewann schließlich 4:2 und qualifizierte sich auch noch für die K.o.-Spiele. Dort folgte dann aber das Aus im Achtelfinale gegen England (0:2).
Die Stimmung, das berichteten Havertz und Brandt unisono, sei gut in der Mannschaft. Von einem Reizklima oder gar einer Zerrissenheit könne keine Rede sein. Für die Spieler, die Besuch von ihren Familien, Ehefrauen oder Freundinnen im Teamquartier bekamen, sei es ein schönes Gefühl gewesen, berichtete Brandt – und ließ zudem noch wissen, dass alle im Team bereit seien, auf dem Platz Verantwortung zu übernehmen. „Wir sind alle Führungsspieler bei unseren Vereinen. Wir sind alle erfahren“, sagte der 26-Jährige: „Es hilft nicht, wenn nur zwei, drei Spieler vorweggehen und Verantwortung übernehmen. Ich habe das Gefühl, jeder möchte vorangehen und helfen, auch die Spieler, die auf der Bank sitzen.“
Bei allen liegt der Fokus nun auf der Partie gegen Spanien, bei der im Vorfeld keine Aktion mehr in Bezug auf die vom Weltverband Fifa verbotene „One Love“-Binde geplant ist. Vor dem Spiel gegen Japan hatten sich alle deutschen Nationalspieler aus der Startelf beim Teamfoto demonstrativ den Mund zugehalten. „Wir haben unseren Punkt sehr klar gemacht, jeder kennt unseren Standpunkt“, sagte Kai Havertz: „Unser Fokus ist nun hundert Prozent auf Fußball.“