Lars Windhorst ist weg, Hertha BSC hofft auf bessere Zeiten. Ein neuer Investor, 777 Partners, soll helfen, gigantische Finanzlöcher zu stopfen. Der Präsident, Kay Bernstein, will endlich Ruhe im Verein und den Menschen Hoffnung schenken. Wenn auch auf dem Platz davon zuletzt wenig zu sehen war.
Am Tag, an dem der Big City Club sterben musste, wurde es plötzlich warm. „Jetzt kommt der Frühling“, sagte Kay Bernstein, der Präsident von Hertha BSC, als er nach einer knappen Stunde aus dem Medienraum des ewigen Krisenklubs aus dem Berliner Westend trat. In den vergangenen 50 Minuten hatte der ehemalige Ultra mit Vehemenz versucht, die jüngere Vergangenheit des Klubs so hinter sich zu lassen wie der März die Dunkelheit der zurückliegenden Wintermonate. Aus Hertha BSC soll nach dem Ende von Lars Windhorst endlich wieder nur ein Verein werden. Einer, der nicht mehr im Minutentakt Schlagzeilen schreibt und für größte Erheiterung sorgt, Letzteres leider nur bei denen, die wenig Sympathien für den ältesten Fußballverein der Liga haben. Anlass dazu hatten sie in den vergangenen Jahren mehr als genug.
Um aber überhaupt diesem Traum noch nachhängen zu dürfen, muss Hertha sich immer neu verkaufen, weiter Geld organisieren. Der trotz der mittlerweile legendären 374 Windhorst-Millionen im finanziellen Brackwasser schippernde Verein kann nur durch weitere Verkäufe von Anteilen an der Hertha BSC KGaA an das US-amerikanische Private-Equity-Haus 777 Partners das Überleben sichern. 100 Millionen werden insgesamt in Richtung Hertha fließen, inklusive einer dringend benötigten Soforthilfe in Höhe von 30 Millionen Euro.
Gigantische Finanzlöcher
„Wir werden die zur Verfügung gestellten Finanzmittel zur Sicherung der wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit und für den Ausgleich der Verluste der Vergangenheit verwenden“, sagte der nach dem Bobic-Rauswurf Ende Januar letzte verbliebene Geschäftsführer des Vereins, Thomas E. Herrich, am Montag. Im Gegenzug stehen dem Finanzinvestor aus Miami im Falle einer Gewinnausschüttung 95 Prozent des zu verteilenden Betrags zu. Im Zuge einer Kapitalerhöhung erhöhte das Unternehmen seine Anteile an der KgaA auf 78,8 Prozent, nachdem es zuvor die bis dahin vom ehemaligen Wunderkind Lars Windhorst gehaltenen 64,7 Prozent übernommen hatte. Die angehäuften Verluste der vergangenen Jahre ließen dem Klub keine andere Wahl. Sie konnten sich immerhin eine Sperrminorität sichern.
Das Geschäftsjahr 2019/2020 hatte Hertha BSC mit einem Minus von 53,5 Millionen Euro beendet, die Verluste der Spielzeiten 2020 bis 2022 summieren sich auf beinahe 160 Millionen Euro. Auch in diesem Geschäftsjahr wird ein Minus von über 60 Millionen Euro erwartet, die Verbindlichkeiten des Klubs betrugen Ende 2022 90,8 Millionen Euro. „Die Sanierung wird kein Sprint, sondern ein Marathon“, sagte Herrich. Für 777 ein verlockendes Geschäft. Nur 120 Millionen Euro sollen sie für die Anteile an Windhorst gezahlt haben. Einst waren sie 374 Millionen Euro wert. Inklusive der dreistelligen Hertha-Hilfe zahlen die Amerikaner also nur 220 Millionen Euro für einen Verein, der zumindest weiter Fantasie wecken kann. Auch, weil der erratische Investor Windhorst weg ist.
Josh Wander ist der CEO von 777.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der war nach all den Skurrilitäten und Absurditäten, die er über den Verein brachte, letztendlich über eine Spionageaffäre gestolpert. Der deutsche Investor hatte mithilfe einer israelischen Sicherheitsfirma Stimmung gegen den ehemaligen Präsidenten des Vereins, Werner Gegenbauer, machen wollen, dann aber womöglich seine Rechnungen nicht bezahlt. Die Affäre wurde aufgrund eines dadurch ausgelösten Gerichtsverfahrens in Israel öffentlich und in Deutschland genüsslich ausgeschlachtet. Für Windhorst war es das Ende. Jetzt will der Klub auch endlich das Label Big City Club loswerden. Ein Label, das den Verein der Lächerlichkeit preisgegeben und ihn letztendlich zu einem Symbol für die Hauptstadt gemacht hatte.
Hertha ist der Alexanderplatz der Bundesliga
Hertha BSC war nämlich in den Windhorst-Jahren zum Alexanderplatz der Bundesliga geworden. Auch dort im Zentrum der Hauptstadt träumen sie seit Jahren von einer gigantischen, einer europäischen Superstadt würdigen Wolkenkratzerkulisse. Als aus den Träumen endlich Realität werden sollte, kollabierte der betonüberladene Platz im Herzen der Stadt. Die Fundament-Arbeiten an einem dieser Wolkenkratzer legten den U-Bahn-Verkehr auf der Linie U2 lahm. Die Baustelle hatte Schäden an einem U-Bahntunnel verursacht, die Decke war abgesunken. Seit Herbst 2022 geht hier, auf einer der zentralen U-Bahn-Linien der Stadt, nichts mehr. Erst meldete sich der Bauherr nicht, später verkündete er, dass Betoneinspritzung Tunnel und Bahnsteig anheben werden. Und wenn nicht, dann werde eben etwas anderes ausprobiert. Irgendwann werde alles wieder gut.
Genau das hoffen sie im Berliner Westend auch. Dort, wo sie viel zu lange eben jene Wolkenkratzerkulisse erschaffen wollten und wo das Fundament kollabiert war und der Investor, Lars Windhorst, jetzt endgültig einen Schlussstrich gezogen hat. Er ist nicht einmal mehr Mitglied. Dort draußen am Olympiagelände war Kay Bernstein vor rund neun Monaten angetreten, um den Verein wieder zu vereinen und aus der maroden Skandalnudel einen respektablen Bundesligisten zu machen. Einem Klub, der für den Teil der Hauptstadt spricht, dem die Wagenburg des ungleich erfolgreicheren Rivalen Union Berlin zu abgehoben, zu weltfremd erscheint. Einem, der sich wieder in den verbliebenen Eckkneipen Berlins ausbreitet und der die über 130-jährige Geschichte des Vereins nicht nur als Marketinginstrument befreit. Nie wieder „Berlin ältestes Startup“.
Präsident Bernstein und die Multi-Ownership
Der ehemalige Ultra Bernstein war eher zufällig an die Macht gelangt. Er stieß in das Vakuum, das der vom Streit mit Windhorst entnervte ehemalige Präsident Werner Gegenbauer hinterlassen hatte. Weil es ihm um seinen Verein ging, sagte er, um Hertha, die schon in der Saison 2021/2022 beinahe vor Erschöpfung abgestiegen wäre. All die Skandale der Big-City-Jahre drückten den Bundesligist in die Abstiegszone. Bernstein war es gelungen, sich gegen den Kandidaten des Establishments, dem abgehalfterten Lokalpolitiker und Präsident des Handball-Klubs Füchse Berlin, Frank Steffel, durchzusetzen. Auch, weil er eben nicht Frank Steffel und nicht Establishment war. Nicht jeder, der Bernstein wählte, stimmte für ihn, sondern eben eher gegen den CDU-Politiker aus Reinickendorf, dem viele nicht zutrauten, den Klub in irgendeiner Form zu retten. Diese Aufgabe hat jetzt eben der ehemalige Ultra.
So einfach aber ist es nicht: Der Fußballklub Hertha BSC hat schon vor langer Zeit seine Seele in fremde Hände gelegt. Windhorst mag das große Drama nach Berlin gebracht haben, doch der Verein hatte den Höllenschlund bereits Anfang 2014 geöffnet und sich mit KKR einem Investor verschrieben. Es war der erste Deal dieser Art in der Bundesliga. Mit 777 kommt jetzt gut neun Jahre später die Multi-Ownership über Berlin. Das Private-Equity-Unternehmen investiert seit einiger Zeit vermehrt in den Fußball. Es hält Anteile an FC Sevilla in Spanien, Genua CFC in Italien, Vasco da Gama in Brasilien, Standard Lüttich in Belgien, Red Star FC in Frankreich und Melbourne Victory in Australien. Noch ist nicht ganz klar, wie sie damit Geld verdienen wollen.
Hertha soll die Menschen doch nur glücklich machen
Eins ist sicher. Es muss sportlich aufwärts gehen. Und das gehe gemeinsam nun einfach besser. Sie von 777 sagen, sie bieten den Klubs „Synergien“ an, haben mit dem deutschen Sportchef Johannes Spors einen, der die Brücke zwischen den Vereinen bilden soll. Über diese Brücken können sie dann auf die Analysten und Datenbanken des Unternehmens zugreifen. Das Modell der Multi-Ownership ist nicht neu, steht jedoch in Deutschland durch Red Bull in einem schlechten Licht. International ist die von Abu Dhabi kontrollierte City Football Group mit ihrem Flaggschiff Manchester City führend. Jetzt bietet Hertha ein neues Einfallstor in die Bundesliga. Eines,das die gerade erst Windhorst entkommenen Berliner schon wieder in Bedrängnis bringen könnte.
Dabei will Hertha BSC doch nur ein ganz normaler Verein sein. Einer, der den Menschen Hoffnung spendet, wie es Bernstein formulierte. „Wir haben die große Hoffnung, dass mit dem heutigen Tag der Big City Club beerdigt wird und wir in Ruhe weiterarbeiten können“, sagte Bernstein: „Wir machen das Ganze für die Menschen da draußen. Für die anderen Herthaner. Weil wir unseren Job so begreifen, dass es unsere Aufgabe ist, die Leute glücklich zu machen. In dieser Welt, in der nicht mehr viel gerade läuft, in der so viele Sorgen, Ängste – das Klima, die Wirtschaft, der Krieg – uns beeinflussen, haben wir die Aufgabe, Wochenende für Wochenende für ein bisschen Ablenkung und Glückseligkeit zu sorgen.“ Romantik!
Und dann noch der Abstiegskampf
Bernstein wurde nach seiner Wahl im vergangenen Jahr mit dem Label „Kay aus der Kurve“ versehen. Ein Label, das er abstreifen will. Er kann nicht nur den Fans in der Ostkurve nach dem Mund reden, sondern muss mehr harte Entscheidungen treffen, als es ihm, der im Kern weiter ein Fußball-Romantiker ist, lieb sein kann. Es sind Entscheidungen, die den stets protestierenden Ultras in der Kurve kaum gefallen dürften. Sie wollen ein Fußball ohne Investoren. Sie wollen keine Fußball-Moderne, maximal ein neues Stadion. Die anstehenden Proteste will er mit Kommunikation aushalten. Um den Verein zu konsolidieren, ihn aus der ewigen Krise zu führen, muss der ehemalige Ultra den Pakt mit der Fußball-Moderne eingehen. Es ist der letzte Ausweg für Hertha BSC – es ist das, was die neue Klub-Führung den „Berliner Weg“ nennt. Mit wenigen Mitteln irgendwie das Überleben sichern, irgendwie die auch unter dem ehemaligen Sportvorstand Fredi Bobic explodierten Gehaltskosten runterfahren.
Der Klub aus dem Berliner Westend bleibt auch ohne das Label Big City Club eines der spannendsten Projekte im deutschen Fußball. Es ist eins, in dem Widersprüche nicht nur ausgehalten werden müssen, sondern eben genauso überlebensnotwendig sind wie die ausstehenden Spiele in der Bundesliga. Heute geht es zum Tabellenletzten nach Hoffenheim. Hertha auf Platz 15 hat nur zwei Punkte Vorsprung. Sie dürfen nicht ohne Punkte zurückkommen, sonst wird der Wiederaufbau in der zweiten Liga immer wahrscheinlicher. Immerhin hat 777 auch dort Erfahrung. Mit Genua spielt einer der 777-Klubs mit großer Geschichte aktuell im italienischen Unterhaus.
Am Tag, nachdem der Big City Club sterben musste, zogen die letzten Winterstürme über die Hauptstadt und die Temperaturen brachen ein. Demnächst, heißt es, soll es wirklich Frühling werden. In der englischsprachigen Presse halten sich seit einiger Zeit Gerüchte, dass die Eigentümer von Newcastle United, der saudische Staatsfonds PIF, an einer Beteiligung an der Fußballsparte von 777 interessiert sein sollen.