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Ein schlecht gealtertes Zitat: Die überraschende Geschichte des „brauchbaren“ Herrn Süle

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Der FC Bayern München wird zum ersten Mal seit Menschengedenken vielleicht nicht Deutscher Meister. Das hat auch mit Niklas Süle zu tun, den sie beim FC Bayern mit reichlich Häme verabschiedet hatten. Nun macht der Verteidiger womöglich eine sehr mutige Ansage wahr.

Es gibt ein paar Zitate, die ganz schlecht gealtert sind. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ hat einst niemanden davon abgehalten, eine Mauer zu errichten. Als DFB-Teamchef Franz Beckenbauer 1990 im Taumel des WM-Titels verkündete, dass man „auf Jahre hinaus unschlagbar“ sein würde, dauerte es noch zwei Jahre, bis der Weltmeister im EM-Finale den erst kurz vor dem Turnier zusammengetrommelten Dänen unterlag. Und nun erinnert man sich an Karl-Heinz Rummenigge. Weil Niklas Süle mit Borussia Dortmund am Samstag Deutscher Meister werden könnte. Und Rummenigge den 45-maligen Nationalspieler, fünfmaligen Deutschen Meister und Champions-League-Sieger mit kaum verhohlener Geringschätzung einen „brauchbaren Spieler“ genannt hatte.

Niklas Süle war bis zum vergangenen Sommer Spieler des FC Bayern München. Ein Innenverteidiger, der fünf Jahre für den Klub spielte, dem Karl-Heinz Rummenigge bis zum 30. Juni 2021 als Vorstandsboss vorstand. 171 Spiele machte Süle für den FC Bayern, kämpfte sich von einem Kreuzbandriss zurück ins Champions-League-Finale und gewann mit dem Klub 14 Titel. Der Hüne ist Teil der erfolgreichsten Ära der jüngeren Klubgeschichte.

Als er sich aber im Januar vergangenen Jahres entschied, den Verein zu verlassen, obwohl man ihm ein Angebot zur Vertragsverlängerung vorgelegt hatte, war Rummenigge sauer. Und würdigte den Beitrag des Nationalspielers zum Erfolg des Klubs herab: „Niklas hat ja relativ gute Talente in seiner Position: Er ist groß, kräftig, schnell, das Kopfballspiel könnte er vielleicht ein Stück verbessern. Er war immer ein brauchbarer Spieler. Das Problem ist, er hat sich nie wirklich auf seiner Position durchgesetzt“, verkündete Rummenigge als die Nachricht von Süles Abschied raus war.

„Aus der Klubführung kein Vertrauen gespürt“

Es war der Versuch, die Deutungshoheit über den Abschied des Verteidigers in München zu halten. Der FC Bayern, so das Narrativ, das Rummenigge zu setzen versuchte, braucht Niklas Süle nicht. Jedenfalls nicht allzu dringend. In seiner letzten Saison machte Süle 28 Bundesligaspiele, fünfmal musste er wegen einer Verletzung aussetzen. In den Statements rund um den Wechsel ging es viel um Wertschätzung. Süle, dem sie in München immer wieder mangelnde Fitness und einen unprofessionellen Lebenswandel vorgeworfen hatten, vermisste das Vertrauen der Führungsriege. „Ich kam im Champions-League-Finale gegen Paris in der 25. Minute nach einem Kreuzbandriss rein. Hansi Flick schenkte mir als Trainer sein Vertrauen. Dieses Vertrauen spürte ich nicht auf allen Ebenen im Klub“, sagte der Spieler im vergangenen Mai der „Sport Bild“. „Zu der Zeit habe ich schnell gemerkt: Okay, du hast ein gewisses Standing in der Mannschaft, bei den Klub-Angestellten und den Fans – aus der Klub-Führung habe ich das nicht verspürt.“

Rummenigge hatte zuvor konstatiert: „Wertschätzung wird eigentlich nur noch in Euros gerechnet und in nichts anderem. Man braucht nicht zu glauben, dass beim FC Bayern irgendein Spieler nicht wertgeschätzt oder gekuschelt wird. Wertschätzung ist eine Einheit namens Euro – sonst gar nichts.“ Anders als bei den überaus geräuschvollen Verhandlungen mit Süles langjährigem Kollegen David Alaba, der den Klub ein Jahr zuvor ebenfalls ablösefrei nach monatelangen Verhandlungen gen Real Madrid verlassen hatte, nahm der Klub diesmal nicht das Vertragsangebot vom Tisch. Süle habe den Bayern nach „über Monate“ laufenden Gesprächen mitgeteilt, dass er den vorliegenden neuen Vertrag nicht unterschreiben werde, berichtete Rummenigges Nachfolger Oliver Kahn. Der Abschied sei „schmerzhaft“, aber: „Wir haben einen wirtschaftlichen Rahmen, in dem wir uns bewegen müssen.“ In Dortmund verdient Süle dem Vernehmen nach nicht mehr, als er in München bei einer Vertragsverlängerung kassiert hätte.

„Ich habe von der ersten Kontaktaufnahme an sofort gespürt, dass die Verantwortlichen des Vereins ganz große Lust darauf haben, mit mir zu arbeiten“, verkündete der brauchbare Nationalspieler in der Ankündigung seines Wechsels. Man habe ihm „beeindruckend vermittelt, welche Rolle ich beim BVB einnehmen kann und ich hatte das Gefühl, als Mensch und als Fußballer gewollt zu werden. Die Art und Weise wie sie sich um mich bemüht haben, hat mir imponiert, so dass ich schnell wusste, wo ich künftig spielen werden.“ Süle-Berater Volker Struth hatte berichtet, dass sein Mandant früh signalisiert habe, mit dem FC Bayern gar nicht mehr verhandeln zu wollen.

„Katastrophale Aktion“ zum Abschied

Zum Abschied von Niklas Süle trat dann aber auch Uli Hoeneß nochmal ordentlich nach. Zum Saisonfinale sollte Süle gar nicht mehr mit nach Wolfsburg fahren, nach einer Verletzung von Marcel Sabitzer fragte Trainer Julian Nagelsmann aber doch an. Süle verwies auf die fehlende Vorbereitung und verzichtete auf eine letzte Landpartie mit dem Meister. „Das spricht nicht für den Spieler“, polterte Ehrenpräsident Hoeneß. „Wenn er von Wertschätzung spricht, dann hat er dem Verein diese Wertschätzung nicht entgegengebracht. Ich fand diese Aktion katastrophal.“ Und übrigens: „Die Mär, dass er in Dortmund weniger verdient als in München, könnt ihr alle vergessen.“ Rumms, danke, tschüss.

„Ich habe die Qualität von Borussia Dortmund gesehen. Ich glaube zu 100 Prozent daran, dass man es schaffen kann. Dass wir es schaffen wollen, ist sowieso klar. Aber vom Reden wirst du kein Deutscher Meister„, hatte der Verteidiger schon Anfang August in einem seiner ersten Auftritte als Spieler von Borussia Dortmund am Sky-Mikrofon verkündet. Die sportliche Realität konnte mit den Ansagen zunächst nicht mithalten: Der FC Bayern sonnte sich im später schnell und schneller verblassenden Glanz des Transfers von Sadio Mané und steuerte bis zur WM-Pause scheinbar wieder unaufhaltsam in Richtung des nächsten Titels. Der BVB lieferte eine wenig überzeugende Hinserie fernab der Tabellenspitze.

Im Winter dann überraschte der 27-Jährige mit der nächsten Kampfansage: „Die Tabellensituation ist nur eine vorläufige“, betonte Süle im Januar im Gespräch mit der „Welt am Sonntag“. Der FC Bayern startete als Tabellenführer aus der WM-Pause, Borussia Dortmund als Sechster. Mit neun Punkten Rückstand auf den Rekordmeister. „Ich kann mich noch gut erinnern, dass der BVB einmal neun Punkte vor den Bayern stand und am Ende dann doch die Bayern Meister geworden sind.“ Es wirkte ein bisschen wie eine Durchhalteparole, vielleicht war es auch das Selbstverständnis des Erfolgs, das er aus München ins Ruhrgebiet gebracht hatte.

Vielleicht aber hat Süle auch wenigstens geahnt, dass beim FC Bayern mit der Verletzung Manuel Neuers was ins Rutschen kommen würde, was sowieso schon auf wackeligem Grund gebaut worden war. Mit dem Saisonaus des Kapitäns, das ist in der Rückschau deutlich geworden, ging dem Team mehr verloren als nur ein Weltklassetorwart. Sportlich wurde Neuer durch Yann Sommer bestmöglich ersetzt, aber in der Folge brach im ohnehin arg heterogenen Kader das Chaos aus – und die Verantwortlichen machten allzu oft eine unglückliche Figur.

Neuer gab nach dem Rausschmiss seines Torwarttrainer Toni Tapalovic ein eigenartiges Interview, in dem er deutlich seine Vorgesetzten angriff („Schlag, als ich am Boden lag“, ihm sei das „Herz rausgerissen“ worden). Serge Gnabry, der an einem freien Tag nach einem Bundesligaspiel nach Paris zu einer Modenschau jettete, wurde von den Verantwortlichen gemaßregelt. „Das ist amateurhaft. Das ist genau das, was ich nicht mag. Das ist nicht Bayern München, irgendwo rumzuturnen, wenn man einen freien Tag hat“, schimpfte Salihamidžić über den Angreifer. Kapitän Neuer wurde öffentlich mit guten Wünschen bedacht, obwohl er seine Verletzung durch einen unnötigen Skitrip selbst verschuldete und den Klub so viele Millionen Euro kostet.

„Spieler sind nicht doof“

Ob Neuer vom Klub in irgendeiner Form bestraft wurde, ist bis heute nicht bekannt. Trainer Julian Nagelsmann, für den sie einen Haufen Geld bezahlt hatten, flog raus, der unglückliche Sadio Mané schlug Mitspieler Leroy Sané ins Gesicht, binnen weniger Tage verspielte der FC Bayern unter dem neuen Trainer Thomas Tuchel Titel um Titel und die Führungsriege sprang unter dem Beifall von Boulevard und feixenden wie staunenden Fans über beinahe jedes Stöckchen, das Experten wie Lothar Matthäus oder Dietmar Hamann ihnen hinhielten. Salihamidzic und vor allem Vorstandsboss Kahn müssen wohl um ihre Jobs fürchten, wenn am 30. Mai der Aufsichtsrat unter Vorsitz von Herbert Hainer tagt. Die letzten Monate beim FC Bayern müssen sich angefühlt haben wie ein wilder Ritt durch die Geisterbahn – und das auf der Gegenfahrbahn!

„Ein Grund, warum ich zu Dortmund gekommen bin, war, dass ich das erleben wollte, was ich jetzt erlebe“, sagte jüngst Niklas Süle, der den Zusammenbruch seiner Ex-Mannschaft aus der Ferne (und auf der Überholspur) erlebte. „Ich habe gehört, dass man eine Meisterschaft in Dortmund sehr stark feiert. Falls ich das erleben darf, würde ich mich freuen und bin dann auch einer, der dabei vorangehen möchte.“ So wie Süle, der sich zum sechsten Mal in Serie zum Meisterspieler machen und damit endlich und auf Anhieb alte Dortmunder Sehnsüchte erfüllen könnte, immer mit Worten voran gegangen war. „Ich behaupte einfach, dass die Spieler nicht doof sind, manchmal aber vergesslich. Niklas Süle hat in seinen Interviews alles gesagt, was ich als Trainer hören möchte. Mein Job ist es, ihn jeden Tag daran zu erinnern“, hatte Trainer Edin Terzic festgehalten, als Süle zu Saisonbeginn das Ziel Meisterschaft ausgegeben hatte. „Ich glaube zu 100 Prozent daran, dass man es schaffen kann. Dass wir es schaffen wollen, ist sowieso klar.“ Ein Zitat, das schon jetzt gut gealtert ist. „Brauchbar“, würde Karl-Heinz Rummenigge es vielleicht nennen.

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