Delle oder Déjà-vu? Das schwache 2:4 des Zweitliga-Aufstiegsaspiranten HSV beim Karlsruher SC wirkt nach. Kommt jetzt das übliche Rückrunden-Tief? Die Antwort wird Trainer Tim Walter vorerst auf der Tribüne erleben.
Immerhin zeigte sich Tim Walter einsichtig. „Ich habe mich entschuldigt bei meiner Mannschaft. Ich glaube, ich habe ihr da keinen Gefallen getan. Ich muss mich da besser im Zaun haben“, sagte der Trainer des Fußball-Zweitligisten Hamburger SV. Sonst ein Verfechter von Disziplin hatte er sich beim 2:4 gegen den KSC in Karlsruhe selbst nicht im Griff und die Rote Karte gesehen.
Und als sei das nicht schon ärgerlich genug, redete der 47-Jährige vor seinem Abgang auf den Schiedsrichter-Assistenten Christof Günsch ein und tippte dabei mehrfach mit seinem rechten Zeigefinger auf dessen Brust. Der Roten Karte sei „ein Scharmützel zwischen zwei Bänken vorausgegangen. Das kommt jede Woche vor. Von daher nicht so dramatisch“, erklärte Walter. „Der Schiedsrichter hat es etwas anders gesehen.“
Zumindest das Nordduell am Samstag (13.00 Uhr/Sky) gegen Holstein Kiel wird er von der Tribüne anschauen müssen. Seine Fingerattacke gegen den Schiedsrichter-Assistenten könnte möglicherweise sogar eine noch längere Sperre durch den Deutschen Fußball-Bund nach sich ziehen.
Doch mehr als das Temperament des Trainers wirkte die phasenweise desolate Vorstellung der Hamburger vor der Pause nach. Das Spiel hinterließ Fragen: Kommt jetzt wieder der fast schon obligatorische Rückrunden-Knick des Fußball-Zweitligisten? Fehlen dem Aufstiegsaspiranten Führungsspieler? Halten die Nerven?
„Mit das Schlechteste“
Zugunsten des HSV lassen sich die Fragen nach den Eindrücken des Spiels nicht zwingend beantworten. „Das war mit das Schlechteste, was der HSV jemals auf den Platz gebracht hat in meiner Zeit. Das müssen wir uns ankreiden“, sagte Walter dem TV-Sender Sky über die erste Halbzeit. „Vollkatastrophe“, schimpfte Robert Glatzel in die Kamera über die erste Hälfte. Das habe „überhaupt nichts mit der 2. Liga zu tun gehabt“. Der 29-Jährige hatte immerhin mit seinen beiden Treffern nach der Pause kurz die Hoffnung auf eine Aufholjagd geschürt und stach damit als einziger aus seiner Mannschaft heraus.
Es war die zweite erschreckende Halbzeit-Leistung der Hamburger innerhalb eines Monats. Im Spiel beim Aufstiegsrivalen 1. FC Heidenheim hatten sie am 11. März ebenfalls zur Pause mit 0:3 zurückgelegen. Der Rückstand hätte wie in Karlsruhe noch höher ausfallen müssen. In Heidenheim gelang den Norddeutschen noch ein 3:3. „Das ist auch für uns nicht immer aufholbar“, sagte Trainer Walter zum 0:3-Pausenstand in Karlsruhe.
Bedenklich war, dass der Ausfall von Sebastian Schonlau eine solche Abhängigkeit vom verletzten Kapitän und Abwehrchef offenbarte. Der 28-Jährige fehlte nicht nur als Stabilisator in der Defensive, sondern auch als Führungsfigur auf dem Platz. Niemand beim HSV war nur annähernd in der Lage, voranzugehen. Auch nicht Ersatz-Kapitän Jonas Meffert. Er und viele seiner Teamkollegen waren mehr mit sich als mit dem giftigen Gegner beschäftigt. „Es hat einfach zu viel gefehlt“, räumte Meffert ein.
Die Niederlage gegen den KSC war die erste nach sieben Spielen. Doch schon in den Partien seit dem Rückrunden-Beginn haben die Hamburger immer wieder Schwächen gezeigt. Außer dem 3:0 gegen den 1. FC Nürnberg in der Woche zuvor gelang kaum ein überzeugender Auftritt. Mannschaften wie der KSC bringen mit hohem Einsatz und einfachem Spiel den fußballerisch besseren HSV in Bedrängnis.
Eine gute Ausgangsposition will nicht viel heißen
Seit dem Abstieg des HSV 2018 hatte der Club dreimal nacheinander seine gute Ausgangsposition in der zweiten Halbserie verspielt und jeweils als Vierter die sehnsüchtig erhoffte Bundesliga-Rückkehr verpasst. Auch im vergangenen Jahr erlebte der HSV eine Formdelle, berappelte sich aber wieder und scheiterte erst in der Relegation.
Tabellarisch erscheint die Gefahr eines Déjà-vu aktuell überschaubar. Die Hamburger sind Zweiter mit einem Punkt hinter Darmstadt 98 und einem Zähler vor Heidenheim. Was fast noch wichtiger ist: Der Vorsprung zum Tabellenvierten SC Paderborn beträgt zehn Spieltage vor dem Saisonende acht Zähler – noch. Vor dem NDR-Mikrofon gab sich Walter aber überzeugt: „Wir spielen nächstes Jahr in der Bundesliga.“