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SPD-Landesparteitag: Vergifteter Frieden – WELT

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Es sollte Streit geben auf dem Berliner Landesparteitag der SPD. Das war schon klar, bevor die Delegierten am Freitagnachmittag im Berliner Stadtteil Friedrichshain überhaupt zusammentraten. Denn die Jusos, die Jugendorganisation der Partei, hatten einen Initiativantrag eingereicht, in dem sie eine personelle Neuaufstellung des Landesvorstands fordern. Wörtlich heißt es dazu in einer Fassung des Antrags, die auf dem Parteitag noch einmal modifiziert wurde: „Im geschäftsführenden Landesvorstand der SPD sollen künftig nicht mehrheitlich Genoss*innen vertreten sein, die als Staatssekretär*innen, Senator*innen oder Fraktionsvorsitzende die Landesregierung maßgeblich tragen. Insbesondere sollte die zukünftige Doppelspitze nicht vollständig aus diesem Personenkreis stammen.“

Mit anderen Worten: Mindestens eine Person aus der derzeitigen Parteispitze um die Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh müsste eigentlich abdanken, um diese Forderung zu erfüllen. Denn im geschäftsführenden Landesvorstand gibt es einige, die auch Mitglieder im Senat sind. Giffey, derzeit Wirtschaftssenatorin der Stadt, hatte sich schon vor dem Parteitag gegen eine Trennung von Amt und Mandat ausgesprochen.

Doch dann kommt es anders, als viele erwartet hatten. Mit nur einer Gegenstimme stimmen die Delegierten nach einer langen Aussprache am Abend dem Antrag der Jusos zu. In der Konsequenz wird das wohl bedeuten, dass bei der nächsten Wahl des Berliner Landesvorstandes der SPD im kommenden Jahr mindestens einer der beiden, Saleh oder Giffey, den Posten des Landesvorsitzes wird räumen müssen.

In ihrer Rede auf dem Landesparteitag in Berlin geht Giffey auf diese Szenarien nicht ein. Ohnehin verwendet sie wie schon ihr Vorredner Raed Saleh viel Zeit für Allgemeinplätze über sozialdemokratische Werte – Gerechtigkeit, Solidarität, Freiheit, soziale Teilhabe, nicht zu vergessen Vielfalt in der „Regenbogenstadt“ Berlin – und erstaunlicherweise auch die Verdienste ihrer Partei.

Zur Erinnerung: Bei der Berliner Landtagswahl, die wegen etlicher Wahlfehler am 12. Februar wiederholt werden musste, bekam die SPD mit 18,4 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus. Die CDU, mit der sie schließlich als Juniorpartner unter Führung des neuen Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner eine Koalition eingegangen ist, konnte demgegenüber über zehn Prozentpunkte zulegen. Die Partei ist seitdem tief gespalten: Bei dem vorherigen Mitgliedervotum der SPD hatten nur 54,3 Prozent für den Koalitionsvertrag mit der CDU gestimmt.

Doch an unbequemen Wahrheiten kommt schließlich auch Giffey nicht vorbei. Als sie in ihrer Rede auf das desaströse Wahlergebnis zu sprechen kommt, wird ihre Stimme betont betroffen und leise. Es sei eine bittere Erfahrung gewesen. Man habe den Führungsanspruch nicht einlösen können. Viele Menschen verstünden nicht, wofür die SPD stehe.

Die eigentlichen Fehler aber, das wird in Giffeys Ansprache auch deutlich, sieht sie außerhalb ihres eigenen Wirkens: Viele Wähler hätten die SPD dafür verantwortlich gemacht, dass die Berliner Wahl überhaupt wiederholt werden musste.

Richtig ist, dass Giffey zu diesem Zeitpunkt nicht in Führungsverantwortung war – ihre Partei gemeinsam mit den Grünen und der Linkspartei aber sehr wohl.

So geht sie mit ihrer Selbstkritik an diesem Abend nur so weit, wie es gerade nötig ist, um die angespannte Lage der Partei zu erklären. Der Wählerauftrag sei klar gewesen. Wenn eine Partei mehr als zehn Prozentpunkte gewinnt, müsse daraus auch der Wahlsieger hervorgehen, das sei den Wählern sonst nicht zu vermitteln. Opposition? Das kommt für Giffey nicht in Frage. Fast sei es in Berlin zu einem schwarz-grünen Bündnis gekommen; Giffey glaubt, dass die SPD dann auch 2026 nicht aus der Opposition herausgekommen wäre.

Sie weiß aber auch, dass ihre eigene Macht davon abhängt, die Situation in ihrer Partei zu befrieden. Und so streckt sie dem Feind die Hand aus und bedankt sich bei den Jusos für ihren „leidenschaftlichen Einsatz für die Partei“. Der Applaus im Saal bleibt mäßig. Spöttisches Gelächter erntet Giffey für ihre betroffenen Äußerungen zu einer Aktion der Klimaaktivisten aus der „Letzten Generation“. Diese hatten vor einigen Tagen das Willy-Brandt-Haus mit Farbe beschmiert, als die Bundes-SPD ihr Jubiläum zum 160. Jahrestag beging. Das Mitleid im Saal hält sich in Grenzen. Erst kürzlich haben die Jusos Berlin auf Twitter ihre Solidarität mit der „Letzten Generation“ erklärt. Sie kritisieren die bundesweiten Razzien gegen die Aktivisten: „Polizeiliche Repressionen zur Unterdrückung von legitimem Protest lehnen wir ab! Kampf gegen Klimawandel statt gegen Klimaaktivist*innen!“

Doch Giffey bemüht sich, die Delegierten auf einen gemeinsamen Weg einzuschwören. „Einigkeit macht stark.“ Nur dann habe die SPD eine Chance. Sie verspricht, die Partei perspektivisch breiter aufzustellen. Große Zustimmung ist bei den Anwesenden zunächst nicht zu hören.

Erst als die Landesvorsitzenden der Jusos, Peter Maaß und Sinem Tasan-Funke, zu sprechen beginnen, wacht der Saal auf. „Franziska, ihr habt noch nicht genug Verantwortung für die Wahlniederlage übernommen.“ Es folgt kräftiger Applaus. Man könne Posten räumen, Vorstände neu besetzen, progressive Vorschläge machen. All das sei nicht passiert. „Wir brauchen einen Visionenprozess.“ Großer Applaus mit jubelnden Zurufen.

Davon war schon im Antrag der Jusos die Rede: Der „Visionenprozess“ soll auf eine stärkere Einbindung der Mitgliederbasis gerichtet sein. Die Jungsozialisten sind der Ansicht, ein Parteitagsbeschluss schaffe keine ausreichende Legitimation für den Koalitionsvertrag. Sie beklagen in ihrem Antrag „eine zunehmende Distanzierung zwischen der sozialdemokratischen Basis und unserer aktuellen Parteiführung auf Landesebene“.

Und diese Ansprache überzeugt viele der Anwesenden. Die Partei müsse durchmischt sein, eine Breite repräsentieren, die sich auch in der Spitze abbildet. Es wird geklatscht und gejubelt.

Die Richtung ist klar: Hier werden Stimmen laut, die Repräsentation mit politischer Identität gleichsetzen. Es sind die üblichen identitätspolitischen Reflexe, die in der Hauptstadt in besonderer Weise aktiv sind – und auch die Diskussionen in der SPD prägen.

Der Redebedarf in der anschließenden Aussprache ist auf dem Landesparteitag groß. 84 Wortmeldungen stehen an, denen jeweils drei Minuten Redezeit eingeräumt wird. Die Sozialdemokraten reden und reden und werden nicht müde, allen ihre Meinung kundzutun.

Vor dem Saal sagt eine junge Sozialdemokraten, die Stimmung in der Partei sei katastrophal. Sie selbst ist stocksauer. Ohne Not habe die SPD Macht an die Konservativen abgegeben. Aber war das nach dem deutlichen Wahlsieg der CDU nicht unausweichlich? Sie findet wie viele hier, das Wahlergebnis des Berliner Abgeordnetenhauses zeige vor allem, dass es noch immer eine linke Mehrheit gebe. „Die SPD hätte es auch als Auftrag verstehen können, einfach eine bessere Arbeit zu machen.“

Doch dann haben auch die Sozialdemokraten ein Einsehen und beenden die Debatte früher als zunächst geplant. Bevor der Antrag der Jusos zur Abstimmung kommt, halten Saleh und Giffey noch einmal eine kurze Ansprache. Als Zeichen der Geschlossenheit zeige er „volle Unterstützung“ für den Antrag, sagt Saleh. Der Saal wird still. Giffey drückt sich ungenau aus, aber doch so, dass zumindest keine Ablehnung daraus zu lesen ist. Wenn die Partei das wünsche, gehe man eben diesen gemeinsamen Weg. Es müsse aber möglich bleiben, dass die, die zur Parteiarbeit beitragen wollten, es auch könnten. Offenbar will sie sich eine Tür offen halten, anders sind diese kryptischen Worte nicht zu deuten. Doch dann überlässt sie schließlich den Delegierten das Feld: Im kommenden Jahr werde entschieden, wie die Partei aufgestellt sein soll. Man darf gespannt sein, wie das aussehen wird.

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