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Mangel an öffentlichen WCs: Deutschlands schwieriger Kampf gegen das Wildpinkeln

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Es ist warm in diesen Tagen, der Sommer hat die ersten Ausläufer geschickt. Wer aber zum See fährt oder im Park picknickt, steht irgendwann vor einem zutiefst menschlichen Problem: Wo auf Toilette gehen? In der Not greift mancher auf das Ur-Klo zurück: die Natur.

Nur kann das teuer werden: Wildpinkeln ist eine Ordnungswidrigkeit. Was aber steht mehr öffentlichen Toiletten im Weg? Gastronomen, Obdachlosenhilfe und Seniorenvertretungen jedenfalls sind sich einig: Es sind viel zu wenige.

Wie gravierend das deutsche Problem ist, zeigt eine WELT-Umfrage in den zehn größten Städten Deutschland: Insbesondere in Nordrhein-Westfalen wird Wildpinkeln häufig geahndet. In Köln wurden im vergangenen Jahr mehr als 2400 Personen beim öffentlichen Urinieren erwischt. Ein Teil der Bußgeldbescheide wurde erst dieses Jahr verschickt, teilt die Stadt mit – alleine diese mehr als 830 Fälle brachten es auf einen Wert von 65.000 Euro.

In Düsseldorf mussten im vergangenen Jahr mehr als 1200 Menschen zwischen 100 und 150 Euro zahlendies führt die Stadt auf eine „überdurchschnittlich hohe Kontrollintensität“ zurück. Die Stadt Dortmund zählte mehr als 1000 Wildpinkler, Essen etwa 150.

Doch auch andernorts wird wildgepinkelt: München kam im vergangenen Jahr auf 579 Fälle, Stuttgart auf 450. In Hamburg wurden 421 Wildpinkler geschnappt, in Frankfurt knapp 300 – allerdings weist die Stadt auf eine Aufbewahrungsfrist von einem Jahr hin, womöglich fehlen also Fälle von Anfang 2022. Aus Leipzig heißt es, man könne keine statistische Auskunft erteilen.

Ob Köln Hauptstadt des Wildpinkelns ist, lässt sich nicht beantworten: Eine Antwort des möglichen Favoriten Berlin lag bis zum Erscheinen dieses Textes nicht vor.

Wer in der Hauptstadt lebt, ist in dieser Hinsicht jedenfalls einiges gewohnt. Da kann es passieren, dass nicht nur auf dem Gehweg gepinkelt, sondern zuweilen sogar gekotet wird. Dabei bemüht sich die Stadt seit einigen Jahren um eine Ausweitung der Toiletten-Infrastruktur. Die Hauptstadt zählt inzwischen mehr als 400 Anlagen. „Deutschlands modernste Infrastruktur öffentlicher Toiletten“, jubelte die Landesregierung vor einem Jahr.

Berlin, ein Toilettentraum?

Warum der Ausbau anspruchsvoll ist

Schon dass auf die rund 400 Toiletten 3,6 Millionen Einwohner und zehn Millionen Touristen pro Jahr gegenüberstehen, legt nahe, dass auch Berlin keine Klo-Utopie ist. Stattdessen lässt sich am Beispiel der Landeshauptstadt veranschaulichen, welche Schwierigkeiten mit dem Ausbau einhergehen.

Von der Bedarfsanalyse über die europaweite Ausschreibung bis zur Fertigstellung der letzten von 280 Anlagen vergingen sechs Jahre. Die Zahl ist durchaus beachtlich: In München hat man sich vorgenommen, innerhalb von sieben Jahren 25 neue Toiletten zu schaffen.

Ein Problem sind die Finanzen. Auch kostenpflichtige Toiletten tragen sich in der Regel nicht selbst. In Berlin sah man sich zudem gezwungen, auf ein Mischsystem aus bargeldloser Bezahlung und kostenfreien Toiletten umzusteigen. Die Toiletten waren zuvor Ziel einer Einbruchsserie geworden.

Ein weiteres Problem sind fehlende Anschlüsse. Getestet werden nun 24 sogenannte Trockentoiletten, die weder Strom noch Wasser benötigen. Kann das funktionieren? Beim Besuch im Bezirk Neukölln sind die zwei dort aufgestellten Toilettenanlagen funktionstüchtig, kostenlos und sauber – das Putzteam war gerade da.

Dass es Besuchern auch anders ergehen kann, zeigen Fotos, die WELT vorliegen. Darauf sind neben Blut, Erbrochenem und Kot auch zahlreiche Spritzen auf dem Boden zu sehen.

Dass es Obdachlose waren, die hier Drogen konsumiert haben – diesen Schluss will Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, nicht vorschnell ziehen. Aber: „Wer nicht will, dass wohnungslose Drogenabhängige – also Menschen, die suchtkrank sind – öffentliche Toiletten für ihren Konsum nutzen, muss ihnen andere Möglichkeiten geben, beispielsweise in Form von Konsumräumen.“

Rosenke betont, wie wichtig die öffentliche Infrastruktur für Menschen sei, die auf der Straße leben. „Für wohnungslose Menschen sind öffentliche Toiletten unverzichtbar. Allerdings gibt es viel zu wenige.“ Eine große Hürde entstehe zudem, wenn gezahlt werden müsse. „Völlig skurril ist es, wenn das bargeldlos erfolgen soll.“

Weitere Orte, an denen nicht nur Obdachlose, sondern vor allem Reisende von öffentlichen Toiletten profitieren würden, sind die 5400 Bahnhöfe in Deutschland. Die Gesamtzahl solcher WC-Anlagen gibt die Deutsche Bahn auf Anfrage mit 500 an. Zusätzlich aber, teilt eine Sprecherin mit, gebe es die Toiletten in den Zügen.

Zudem verteile sich mehr als die Hälfte der Reisenden auf 400 große Bahnhöfe, wo es entsprechende Anlagen gebe. Die Rückmeldung der Nutzer sei positiv, dennoch komme es häufig zu Vandalismus. Deswegen seien die Toiletten in der Regel nur gegen eine Nutzungsgebühr zugänglich.

Darüber hinaus ist auch bei der Bahn die hohen Kosten von Toiletten ein Thema. Hochwertige Anlagen würden „umfassende Investitionen im sechsstelligen Bereich je Standort“ erfordern, die der jeweilige Betreiber tragen müsse. Hinzu kämen qualifiziertes Personal und Unterhaltungskosten. Trotzdem versuche man, an möglichst vielen Standorten Toiletten anzubieten.

Den Toiletten-Mangel an Bahnhöfen gerade im ländlichen Raum kritisiert Barbara Stupp von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen. „Tatsächlich fehlen an vielen Orten öffentliche Toiletten, es gibt einfach viel zu wenige. Für Ältere kann das ein großes Problem bedeuten“, sagt sie. Neben Bahnhöfen nennt sie unter anderem Supermärkte. „Leider gibt es keine einheitliche bundesgesetzliche Regelung, ab wann Geschäfte eine Kundentoilette in ihren Räumlichkeiten einrichten müssen.“

Positiv hebt sie die Initiative „Nette Toilette“ hervor. Das Prinzip: Gastronomen lassen Nicht-Kunden ihre Toilette nutzen und erhalten im Gegenzug Geld von der Kommune, beispielsweise 100 Euro pro Monat. Welche Restaurants mitmachen, kann per App nachgeschaut werden.

„Das mag im Einzelfall umsetzbar sein, generell sieht der Dehoga solche allgemeinen Initiativen eher kritisch“, sagt Jürgen Benad, Geschäftsführer im Hotel- und Gastronomieverband Dehoga. „Die Reinhaltung der Toiletten ist zeit- und kostenintensiv. Wenn diese von jedermann genutzt werden können, erhöht sich natürlich auch der Reinigungszyklus und damit Personalaufwand.“

Viel wichtiger sei es, mehr öffentliche Toiletten zur Verfügung zu stellen. Benad betont zudem, dass es keinen Rechtsanspruch auf die Nutzung der Toiletten in Restaurants gibt. Jedem Gastronomen stehe es im Rahmen seines Hausrechts frei, selbst zu entscheiden, wer damit umgehe.

Anwalt warnt vor Exhibitionismus

Das bestätigt auch Anwalt Udo Vetter. Auf die Frage, warum die Bußgelder rechtens seien, obwohl der Staat nicht flächendeckend für öffentliche Toiletten sorge, sagt er: „Dieses Argument zieht nicht. Sie dürfen auch keine Bank überfallen, weil Sie in Geldnot sind.“

Zwar könne man fragen, wie weit die staatliche Pflicht zur Daseinsvorsorge reicht. „Man kann aber auch argumentieren, dass menschliches Zusammenleben gemeinsame Regeln braucht. Und im Sinne der Eigenverantwortung es auch bei gesundheitlichen Einschränkungen zuzumuten ist, so zu planen, dass man sein Geschäft nicht ordnungswidrig verrichten muss.“

Aus Vetters Sicht ist der soziale Friede dann gesichert, wenn die Ordnungsbehörden mit Augenmaß vorgehen. Schließlich gebe es keine Verpflichtung, Ordnungswidrigkeiten – anders als Straftaten – zu ahnden. „Es darf ein Auge zugedrückt werden. Das ist rechtlich geregelt und auch wichtig. Wenn man es mit den Sanktionen übertreibt und sie auch dann anwendet, wenn der Bürger unverschuldet in Not gerät, droht ein Akzeptanzverlust.“

Und noch eine Warnung hat der Jurist: „Beim Thema Wildpinkeln sollten Männer darauf achten, dass sie nicht ins Strafrecht rutschen – etwa, weil Passanten das Urinieren als unsittliche Berührung einschätzen.“ Dann sei man schnell im Bereich des Exhibitionismus.

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