Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat die großangelegte Razzia gegen die Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ verteidigt. „Die heutigen Maßnahmen zeigen, dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt. Polizei und Justiz nehmen Straftaten nicht hin, sondern handeln – so wie es ihre Pflicht ist“, sagte Faeser der Funke-Mediengruppe. Legitimer Protest ende immer da, wo Straftaten begangen und andere Menschen in ihren Rechten verletzt würden. „Wenn diese rote Linie überschritten ist, dann muss die Polizei handeln“, sagte die SPD-Politikerin.
Ermittler sind am Mittwoch mit einer bundesweiten Razzia gegen die „Letzte Generation“ vorgegangen. Insgesamt wurden 15 Objekte in sieben Bundesländern durchsucht, wie die Behörden mitteilten. Zudem wurden Konten beschlagnahmt und Vermögenswerte gesichert.
Nach Informationen von WELT könnte die Kontosperrung die „Letzte Generation“ vor große Probleme stellen. Zuletzt war die finanzielle Situation der Gruppe angespannt. Die Praxis, Aktivisten in bezahlten Rollen anzustellen, wurde jüngst pausiert. Auch wird intern darüber nachgedacht, Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken. Für die Protestphase in Berlin hatten die Aktivisten zahlreiche Unterkünfte angemietet, was für hohe Kosten sorgte. Bei Twitter veröffentlichte die „Letzte Generation“ daher vergangene Woche einen Spendenaufruf. Demnach fehlten bis September rund 800.000 Euro.
In ihrem „Plan für 2023“ hatte die Organisation angekündigt, den Fokus ihrer Protestaktionen ab August in Richtung Bayern zu verlegen. In Bayern, so der „Letzte Generation“-Mitgründer Henning Jeschke in einem internen Info-Call, sei „die Verdrängung und das Festhalten am Weiterso“ noch besonders stark.
Ziel sei es, die Parteien im bayerischen Landtagswahlkampf mit den Blockaden vor ein Dilemma zu stellen. Entweder müsste die Politik einlenken oder die Sicherheitsbehörden seien gezwungen, Hunderte Demonstranten einzusperren.
Hintergrund der Polizeiaktion ist ein Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft, welches sich den Angaben zufolge gegen insgesamt sieben Beschuldigte im Alter von 22 bis 38 Jahren richtet. Gegen diese wird wegen des Tatvorwurfes der Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Das Verfahren wurde der Anklagebehörde zufolge „aufgrund zahlreicher Strafanzeigen aus der Bevölkerung, die seit Mitte des Jahres 2022 eingingen“, eingeleitet.
Zudem wurde auf Anweisung der Staatsanwaltschaft die Homepage der Gruppe beschlagnahmt und abgeschaltet, wie ein Polizeisprecher sagte. Im Impressum der Webseite war bis zuletzt ein Augsburger Mathematiker geführt. Nach WELT-Informationen gab es Durchsuchungen bei dem Mathematiker und einer weiteren bekannten Vertreterin der Gruppe in Nehms im Kreis Segeberg.
Auch die Wohnung von Sprecherin Carla Hinrichs im Berliner Stadtteil Kreuzberg wurde durchsucht. Die Aktivisten bestätigten einen Bericht der „Augsburger Allgemeine“, wonach Hinrichs zu den sieben Beschuldigten in dem Ermittlungsverfahren gehört. Durchsuchungen gab es außerdem in Hessen im Landkreis Fulda, in Hamburg, Sachsen-Anhalt (Magdeburg), Sachsen (Dresden) und in Bayern (Augsburg und München). Laut Polizei waren bundesweit etwa 170 Beamte im Einsatz. Die Durchsuchungen verliefen ersten Informationen nach friedlich.
Aufruf zu Protestmärschen
Klimaaktivisten reagierten mit scharfer Kritik. Vertreter der Letzten Generation bestritten auf einer Pressekonferenz vehement, kriminell zu sein und riefen Unterstützer zu Protestmärschen auf. Aimée van Baalen, Sprecherin der Aktivisten, forderte alle Bürger dazu auf, sich am nächsten Mittwoch an Protestmärschen in vielen Städten zu beteiligen. An diesem Mittwoch sollte bereits eine spontane Demonstration in Berlin stattfinden.
„Die 15 Hausdurchsuchungen haben alle Unterstützer hart getroffen. Sie machen uns Angst, aber wir dürfen nicht in dieser Angst verharren“, sagte van Baalen. „Müssen wir in Deutschland erst eine Dürre erleben, an Nahrungsmittelknappheit leiden (…), bevor wir verstehen, dass die Letzte Generation für unser aller Leben einsteht und dass das nicht kriminell ist?“, kritisierte die Sprecherin weiter. Die Klimaschutzgruppe wolle weiter Widerstand leisten.
Die Gruppe Ende Gelände kritisierte auf Twitter, Razzien gebe es bei denen, „die vor der Klimakrise warnen, und nicht bei denen, die dafür verantwortlich sind“. Die Letzte Generation selbst fragte auf Twitter, wann Lobbystrukturen durchsucht und „fossile Gelder der Regierung“ beschlagnahmt würden.
1,4 Millionen Euro Spendengelder eingesammelt
Konkret wird den Beschuldigten zur Last gelegt, eine Spendenkampagne zur Finanzierung „weiterer Straftaten“ für die Letzte Generation organisiert, diese über deren Homepage beworben und dadurch mindestens 1,4 Millionen Euro an Spendengeldern eingesammelt zu haben. Das Geld sei auch überwiegend für die Begehung weiterer Straftaten eingesetzt worden, hieß es.
Die Ermittlungen könnten zum ersten Mal Aufschluss über die vollständige finanzielle Ausstattung
der „Letzten Generation“ geben. Anfang des Jahres hatte die Gruppierung zwar einen sogenannten Transparenzbericht veröffentlicht. Dieser enthielt allerdings keine konkrete Aufschlüsselung von Geldern, die von der US-Organisation Climate Emergency Fund über den Umweg eines weiteren Vereins an Aktivisten der „Letzten Generation“ ausgezahlt wurden.
Insgesamt hat der Climate Emergency Fund nach eigenen Angaben allein 2022 mehr als 3,5 Millionen US-Dollar an verschiedene Klimagruppen ausgezahlt. Einer der größten Empfänger war die „Letzte Generation“. Hinter der US-Organisation stehen mehrere Philanthropen und Persönlichkeiten aus der Unterhaltungsindustrie.
Zwei Beschuldigte stehen zudem im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren.
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