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Leben in Nazi-Deutschland: Was in der Gestapo-Akte über Henry Kissingers Familie steht

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Seiner Vaterstadt Fürth ist Henry Kissinger bis zum heutigen Tag auf besondere Weise verbunden geblieben. Bereits 1959 kehrte er nach dem Krieg im Rahmen einer öffentlichen Einladung als damals schon renommierter Harvardprofessor in seine fränkische Heimat zurück, um im Stadtrat zu sprechen. 1975 wurde er im Beisein seiner hochbetagten Eltern Paula und Louis Kissinger mit der goldenen Bürgermedaille geehrt, und 1998 folgte die Ehrenbürgerwürde.

Er hat zudem zeit seines Lebens als Fan der Spielvereinigung Fürth (heute: Greuther Fürth) die Stange gehalten, und auch zur Nachfeier seines 100. Geburtstags wird er zu den Feierlichkeiten zu seinen Ehren nach Fürth kommen.

In Fürth wurde er am 27. Mai 1923 in eine jüdisch-orthodoxe Familie hineingeboren. In Franken liegen seine Anfänge. Sein Akzent im Englischen verrät die Ursprünge bis heute. Henry Kissinger hat später wiederholt darauf hingewiesen, dass er als Heranwachsender vergleichsweise normale Lebensumstände hatte.

Seine Eltern Paula und Louis Kissinger haben ihre Kinder Alfred, Heinz und Walter mit den Schätzen des deutschen Bildungsbürgertums vertraut gemacht und ihnen die Liebe zu den Weimarer Klassikern gelehrt. Zunächst besuchte der junge Kissinger die Heckmann’sche Privatschule für Knaben, anschließend die Israelitische Realschule in der Blumenstraße.

Er war noch keine zehn Jahre alt, als Hitler im Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde. Für die Familie hatte dies unmittelbare Konsequenzen.

Sein Vater, Handelsoberlehrer für Mathematik und Deutsche Literatur an einem Fürther Mädchengymnasium, wurde mit Berufsverbot belegt. Die im Stadtarchiv verwahrte Schulakte lässt die Intrigen und Anfeindungen nicht mehr rekonstruieren. Eine ganze Reihe von Dokumenten in der Zeit zwischen 1933 und 1935 wurden wohl in der Nachkriegszeit, als Kissinger schon im Aufstieg war, säuberlich mit dem Messer aus der Akte entfernt. Es sollte wohl nicht mehr nachvollzogen werden können, wie und von wem Kissingers Vater damals denunziert worden war.

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten erfolgte in schnellem Tempo und verwandelte den Staat innerhalb kurzer Zeit. Immer mehr Lebensbereiche wurden von der allgegenwärtigen Partei erfasst, die Institutionen von Parteigenossen durchsetzt. Für Juden bedeutete dies, vor allem nach dem Inkrafttreten der Nürnberger Rassegesetze von 1935, Ausgrenzung, Demütigung und zunehmende Verfolgung.

Schon in Henry Kissingers Geburtsjahr war in Fürth eine NSDAP-Ortsgruppe gegründet worden, die in den 30er-Jahren immer größeren Zulauf erhielt. Nachdem sich Oberbürgermeister Robert Wild im Februar geweigert hatte, Reichskanzler Hitler am Flugfeld zu begrüßen, wurde er im März 1933 abgesetzt. Ersetzt wurde er durch einen strammen Nationalsozialisten, der zugleich in Personalunion NSDAP-Kreisleiter war.

Trotzdem hatte es eine Zeit lang gedauert, bis in Henry Kissingers Familie der Entschluss zur Auswanderung fiel. Vor allem Vater Louis hatte sich mit der Entscheidung schwergetan.

Klima der Angst und Denunziation

Die hier in Auszügen veröffentlichte Polizeiakte gibt in ihrer bürokratischen Kälte und formalistischen Dürre eine Ahnung davon, wie im Doppelstaat, der das nationalsozialistische Deutschland war, scheinbar funktionierende Normalität und menschenverachtender Rassenwahn nebeneinanderher existieren konnten.

Die Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) berichtete mit Schreiben vom 28. April 1938 an das Finanzamt über „Vorbereitende Maßnahmen zur Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland“ der Familie des Handelsoberlehrers a.D. Louis Kissinger und nannte lakonisch als Grund „Existenzgründung“.

Bürokratischen Euphemismen stehen neben einem Klima der Angst und Denunziation.

Das „Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Fürth in Bayern“ ließ der Geheimen Staatspolizei am 29. April 1938 mitteilen, dass „meinerseits keine Bedenken“ gegen das „Auswanderungsvorhaben“ bestehen.

Wenige Monate später, am 9. November 1938, brannte in der Reichspogromnacht auch die Synagoge in Fürth bis auf die Grundmauern nieder. Die Familie von Henry Kissinger war da schon in der Neuen Welt.

Henry Kissinger hat 13 Familienangehörige im Holocaust verloren. Seine engste Familie ist 1938 noch einmal mit dem Leben davongekommen.

Das war ihr, und dies ist unser aller unbeschreibliches Glück. Henry Kissinger hat aus der biografischen Erfahrung in seinen ersten 15 Jahren auf seine Weise die Lehren gezogen. Er weiß, dass Angst in der Politik ein schlechter Ratgeber ist, und er hat ein Leben lang darauf verwandt, darüber nachzudenken, wie Ordnung gegen Chaos und Willkür auf der Welt gestärkt werden kann.

Deutschland hat nach dem verlorenen Krieg eine zweite Chance bekommen. Dass dieses möglich wurde, verdankt es entscheidend Männern wie Henry Kissinger und seinem Bruder, dem Philanthropen Walter Kissinger.

Ulrich Schlie ist Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn.

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