Boris Palmer warnt vor der Verdrängung von Menschen mit kleinem Einkommen durch Geflüchtete. Der OB verlangt: Runter mit den deutschen Standards – sonst bleibe zu wenig für alle übrig.
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer warnt vor harten Einschnitten für viele Bürger, sollte es bei der Flüchtlingskrise nicht rasch pragmatische Lösungen geben. Die Ressourcen würden knapp, warnte er am Donnerstag bei „Maybrit Illner“. Aber: „Es wird nicht ehrlich diskutiert, weil man sich dem nicht stellen möchte.“
Die Gäste
- Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
- Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz
- Boris Palmer, Oberbürgermeister Tübingens
- Tino Schomann (CDU), Landrat des Landkreises Nordwestmecklenburg
- Hanna Stoiak, ukrainische Ärztin
- Helene Bubrowski, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Dazu gehört laut Palmer ein „Verdrängungswettbewerb von Menschen mit kleinerem Einkommen“ durch Geflüchtete. Letztere müssten bei der Vergabe von Sozialwohnungen bevorzugt werden
In Tübingen geht deshalb laut dem Oberbürgermeister jede fünfte Sozialwohnung an Geflüchtete. „Die bleiben“, stellte Palmer fest. Die Folge sei: Senioren mit niedriger Rente fänden in der Stadt kein bezahlbares Zuhause mehr.
Illner: Darum arbeiten viele Ukrainer nicht
Die aus der Ukraine geflüchtete Kinderärztin Hanna Stoiak hat zwar eine Bleibe gefunden. Sie lebt derzeit mit ihrer Tochter aber von Sozialhilfe, da sie derzeit in einer Praxis nur als Praktikantin arbeiten darf. „Es ist nicht so einfach für mich. Ich möchte so schnell wie möglich arbeiten gehen“, erklärte Stoiak in der Sendung. Bis sie in Deutschland ihre Approbation erhalte, könne es aber ein oder auch zwei Jahre dauern. Auf ihren dafür nötigen Sprachkurs musste die Ukrainerin bereits fünf Monate warten.
„Wir müssen von den deutschen bürokratischen Standards runter. Ich würde sie morgen arbeiten lassen, weil sie es kann und den Papierkram einfach mal zur Seite legen“, sagte Palmer. Für Stoiak sei es „fast schon entwürdigend, nicht von ihrer Arbeit leben zu können“. Gleichzeitig gebe es in Deutschland einen Ärztemangel, nicht zuletzt bei der Versorgung der vielen ukrainischen Geflüchteten.
Für Fachkräfte wie Stoiak müsse es Zwischenlösungen geben, forderte Palmer. „Dass so was in Deutschland nicht möglich ist, zeigt unser Problem“, kritisierte er und forderte: „Verhindert doch nicht alles mit Verboten.“
„Wir brauchen Ordnung“, verlange der Tübinger OB mit Blick auf die Versorgung und Verteilung auch von Asylbewerbern. Die Hälfte von ihnen dürfe gar nicht in Deutschland bleiben. Seine Forderung: Die Länder halten Bewerber in zentralen Aufnahmeeinrichtungen, bis deren Anerkennung beziehungsweise Abschiebung beschlossen wurde. „Und wir übernehmen alle, die bleiben dürfen. Das wäre eine faire Verteilung“, sagte Palmer. Eine ähnliche Forderung des Deutschen Städtetages war laut „Tagesschau“ von SPD, FDP und auch Palmers Grünen abgelehnt worden (seine Mitgliedschaft ruht vorläufig).
Wüst: „Wir müssen uns ein Stück weit ehrlich machen“
Die Idee von Ankerzentren sei ja ebenso wenig neu wie Rücknahmeabkommen mit Herkunftsländern, meinte die „FAZ“-Journalistin Helene Bubrowski. „Aber so läuft es ja nicht.“ Meist würden sich die Verfahren hinziehen. Abschiebungen seien zudem wahnsinnig aufwendig und teuer. Bei manchen Politikern setze daher Resignation ein. Angesichts von Forderungen, Asylleistungen zu mindern, gab die Journalistin zu bedenken: Ein gewisses Niveau sei vom Grundgesetz geschützt und eine entsprechende Absenkung daher verfassungswidrig.
Palmer bekam bei „Maybrit Illner“ aber von den zwei CDU-Gästen viel Zustimmung. „Wir müssen uns ein Stück weit ehrlich machen, was die Finanzierbarkeit angeht“, unterstrich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst mit Blick auf die besseren Sozialleistungen in Deutschland.
„Wir wollen doch diesen Menschen gerecht werden“, sagte der Christdemokrat. Nötig sei deshalb eine faire Verteilung in Europa der Geflüchteten in Deutschland sowie eine größere Beteiligung des Bundes an den Kosten. „Ordnung und Humanität zusammen denken, Verfahren beschleunigen, Standards absenken – all diese Dinge sind jetzt nötig und darüber müssen wir mit der Bundesregierung sprechen“, sagte der zugeschaltete Ministerpräsident.