Neueste Nachrichten und Updates

Psychisch erkrankte Eltern: Wenn Papa die Seele schmerzt

0 9

Peter Wendl ist Diplom-Theologe, Einzel-, Paar- und Familientherapeut sowie systemischer Berater und Traumafachberater und verantwortlich für ein Mutmachbuch für Soldatenfamilien. „Wie Papa wieder lachen lernt“ soll Kindern die Auswirkungen einer seelischen Krankheit näher bringen. Das Buch ist in Kooperation mit dem Katholischen Militärbischofsamt für die deutsche Bundeswehr entstanden. Mit ntv.de spricht Wendl über die Geschichte: Daniel ist ein gesundes „normales“ Kind, das erlebt, wie eine Bindungsperson sich stark zurückzieht. In der Geschichte für Kinder von etwa vier bis acht Jahren steht die Entwicklung der Beziehung im Vordergrund. Daran sollen Kind wie Eltern lernen, möglichst sensibel mit der Situation umzugehen und sie im besten Fall gut zu bewältigen.

ntv.de: Wenn ein Kind ein Soldatenelternteil hat, ist der Vater oder die Mutter oft wegen der Arbeit abwesend. Wie fühlt sich diese elterliche Fernbeziehung für das Kind an?

Peter Wendl: Bis zwölf Jahren sollte stets eine verlässliche Bezugsperson im Leben eines Kindes sein. Dann ist es kein Problem, dass ein Elternteil für einige Zeit mal weg ist, sofern der Kontakt gepflegt wird und das Kind ein Gespür entwickelt, wie lange der Elternteil weg ist. Kinder bis zu fünf Jahren haben kein Zeitgefühl, da hilft ein Murmelglas, aus dem jeden Tag eine Murmel rausgenommen wird bis zu dem Tag, wo der Elternteil wiederkehrt. Wenn der Tag der Rückkehr gekommen ist, müssen sich beide Parteien langsam aneinander gewöhnen. Da sind es die Eltern, die die Nähe aufbauen, aber das Kind entscheidet wie viel Nähe es zulässt. Für den Elternteil ist es wichtig, sich zu erholen und zu verarbeiten, was passiert ist.

Manchmal erkranken Soldatinnen und Soldaten nach dem Einsatz. Wie ist das für die Kinder?

ANZEIGE

Wie Papa wieder lachen lernt: Das Mutmachbuch für Soldatenfamilien, wenn ein Elternteil seelisch erkrankt ist

15,00 €

Zum Angebot bei amazon.de

Im Kontext psychischer Erkrankungen, wir reden hier von Depressionen, Angststörungen und Traumata, verändert sich der Mensch. In unserem Buch ist der Vater erkrankt. Auf die Krankheit gehen wir nicht näher ein, aber er beginnt sich zurückzuziehen. Das ist eigentlich ein Papa, der lustig drauf ist und zur Verfügung steht. Plötzlich verändert sich da etwas: Der Papa liegt nur noch im Bett, mit runtergelassenen Jalousien, er nimmt nicht mehr teil am Leben. Kinder sind nicht unbedingt in der Lage zu artikulieren, was sie belastet, und noch viel schlimmer, sie verstehen nicht, was um sie herum passiert. Kinder denken dann, sie wären selbst schuld an der Lage. Das ist auch bei anderen hochbelastenden Situationen wie bei einer Scheidung so. Da fragt sich das Kind einfach, was es anders machen kann, zieht sich zurück, um die Eltern nicht zu sehr zu belasten oder ist eben besonders auffällig, weil es die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich richten möchte. Wir wollen den Kindern, die nicht alleine in der Lage sind die Dinge zu verstehen, eine Möglichkeit dazu bieten. Wir nennen das eine idealtypische Darstellung, eine Verdichtung. Bei dem Daniel ist es ja genauso wie bei mir oder bei Daniel ist es anders, aber auch ähnlich – so kann das Kind artikulieren, was es empfindet und was es belastet.

Wie lösen Sie das im Buch?

Im Buch kommt die Oma zu Besuch und sagt dem Kind, dass der Papa sich zurückzieht, weil er krank ist. Weshalb er sich Hilfe sucht, die er nur von einem Erwachsenen bekommen kann und Daniel keine Schuld trägt. Und schon wird dem Kind auf einfache Bilderweise vermittelt, dass es keine Schuld hat und dass es fröhlich sein darf.

Wieso ist das Buch interaktiv?

Es ist besonders wichtig, dieses Buch interaktiv zu lesen. Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren wird die Geschichte vorgelesen und danach erkunden sie das Buch selbst. Noch dazu ist da wenig Text, so kann sich das Kind die wichtige Botschaft besser merken. Zwischendurch gibt es einige leere Seiten zum Verschnaufen und um die Handlung sacken zu lassen, die immer mit einer interaktiven Frage ergänzt ist. Beispielweise die Frage, wie oft man ein Stofftier auf den Buchseiten findet. Damit wird das Kind aufgefordert, das Buch aktiv zu erkunden. Das Kind kann auch in das Buch hineinmalen, was verdeutlicht, dass das Buch etwas aus seinem Leben schildert – diese Abstraktion schaffen Kinder.

Wozu dient die Aufforderung, Bilder zu malen und auch dem erkrankten Elternteil zu geben?

Es gibt etwa fünf explizite Botschaften mit Lerneffekt, wie wir es nennen. Zwischen den Zeilen steht, dass es ohne ärztliche Hilfe nicht funktioniert und dass ärztliche Hilfe auch die Einnahme von Medikamenten bedeutet, was eigentlich niemand will. Unter Umständen ist es wichtig, in ein Krankenhaus zu gehen. Kinder fühlen sich dann oft hilflos. Im Buch wird einmal am Anfang und ein zweites Mal fast am Ende der Geschichte dazu aufgefordert, ein Bild zu malen. Letzteres wäre in der Phase, wo der Papa stationär aufgenommen worden ist. Da ist es wichtig, die Brücke zu schlagen: Oft ist es so, dass die Kinder nicht wissen, wie sie den Kontakt zu dem Elternteil erhalten können. Für das Kind ist es wichtig, zu zeigen, dass sie Mama und Papa nach wie vor lieb haben. Das Bild kann dann im Krankenzimmer aufgehängt werden. So fühlt der erkrankte Elternteil die Präsenz der Familie. Und andersherum bekommt das Kind das Gefühl, etwas zur Genesung beizutragen.

Das Buch richtet sich an Vier- bis Achtjährige. Wie erklärt man diese schwierigen Umstände so jungen Kindern?

Entwicklungspsychologisch sprechen wir von einem Alter, in dem Kinder die Welt emotional erfahren, also nicht kognitiv oder rational wie wir Erwachsenen. Vor allen Dingen nehmen Kinder wahr, wie feste Bezugspersonen reagieren, Eltern oder Großeltern. Sie spiegeln dann ihren eigenen Zustand wider, wie sicher sie sich fühlen. Das heißt, wenn wir Kindern einen schwierigen Sachverhalt näherbringen wollen, müssen wir uns zunächst auf ihrer Ebene bewegen und mit ihren Mitteln darstellen. Unter vier Jahren können sie die Message dahinter nicht nachvollziehen. Wenn man sich Bücher für Ein-, Zwei- oder Dreijährige anschaut, sieht man, dass sie sehr einfach und bildlich, haptisch und flauschig gehalten sind. Ab etwa acht Jahren braucht man andere Medien, weil das kindlich gehaltene Buch zu langweilig ist. Das wäre etwas in Richtung Cartoon oder Comic. Es geht darum, wie das Kind am besten verstehen kann, was los ist, ohne dass seine Welt zusammenbricht. Die Kinder im Buch sehen aus wie Acht- oder Neunjährige. Die Zeichnungen sind so, dass sich die Jüngeren leichter mit den Figuren identifizieren können. Das tun sie vor allem, wenn das Vorbild etwas älter aussieht.

Was mache ich als Elternteil, wenn das Kind das Buch nicht lesen möchte?

Im Kontext einer seelischen Erkrankung reagiert das Kind mit Rückzug und es wird still oder mit auffälligem Verhalten, indem es zeigt, dass es ihm nicht gut geht. Das werten wir therapeutisch nicht, sondern nehmen nur die Reaktion zur Kenntnis. Das heftig reagierende Kind braucht eher Ruhe und einen Hafen, in dem es ankommen kann, und Möglichkeiten, sich zu artikulieren. Das ruhig reagierende Kind braucht einen geschützten Ort, an dem aus sich heraus gehen kann. Wichtig ist, dem Kind das Buch nicht aufzuzwingen, sondern anzubieten. Wenn die Eltern sich Zeit nehmen für das Kind, wird das Buch auch für das Kind attraktiv sein. Eltern wissen am besten, wie sie mit ihrem Kind umgehen. Es gibt Paare, die legen dem Kind das Buch einfach nur vors Bett.

Mit Dr. Peter Wendl sprach Tamara Kutanoski

Lesen Sie hier den vollständigen Artikel.
Hinterlasse eine Antwort

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Cookies, um Ihr Erlebnis zu verbessern. Wir gehen davon aus, dass Sie damit einverstanden sind, aber Sie können sich abmelden, wenn Sie dies wünschen. Annehmen Weiterlesen

Datenschutz- und Cookie-Richtlinie